Messie-Wohnungen sind tabu

Beschäftigungsprojekte im sogenannten zweiten Arbeitsmarkt sind längst die Ausnahme. Doch die als Werkhof bekannte Dienstleistungsagentur hat trotz politischen Gegenwinds überlebt. Dass es für diese Einrichtung dringenden Bedarf gibt, beweist die große Kundenzahl.

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Weiden. (sbü) „Wir haben 38 000 Besucher im Jahr, und jeder zweite davon kauft auch etwas“, berichten Stefan Drabsch und Markus Friedrich von der gemeinnützigen GmbH „Ostbayerische Dienstleistungsagentur der Diakonie Weiden“. Die meisten kennen die Einrichtung nur unter dem früheren Namen Werkhof. Doch seit knapp zwei Jahren ist aus dem Werkhof eine Integrationsfirma mit den Arbeitsbereichen Sozialkaufhaus und Dienstleistungen geworden. „Wir mussten uns dem geltenden Förderrecht und den Marktbedingungen anpassen“, erklärt Friedrich. Er leitet als Vertreter des Trägervereins Diakonisches Werk Weiden zusammen mit Betriebsleiter Drabsch den gemeinnützigen Betrieb.

Jeder kann einkaufen

Das Pressegespräch führen wir im Slalom zwischen Wohnzimmerschränken, Sitzgarnituren, Haushaltswaren, Elektronik-Artikeln und Bekleidung. Gespendete Möbel werden abgeholt. „Es gibt kaum etwas, was bei uns nicht zu finden ist“, betont Drabsch. Aber um „Messie-Wohnungen machen wir einen großen Bogen“. Den „Überschuss in der Gesellschaft sozial verteilen“ – das stellen Drabsch und Friedrich als Zielsetzung in den Vordergrund. Allerdings sind sie auf ein breites Publikum angewiesen. Das Sozialkaufhaus könne nicht ausschließlich vom „Verkauf an Hilfebedürftige leben, auch Schnäppchen-Jäger, Flohmarkt-Händler, auch Messies gehören dazu“.

Doch die meisten seien Menschen „mit kleinem Portemonnaie“. „Sozialhilfeempfänger haben manchmal Scheu, zu uns zu kommen“, erzählen Drabsch und Friedrich. Allerdings wundern sich die beiden auch über manche Hartz-IV-Empfänger, die wegen Sonderzuschüssen für Anschaffungen „eher die teureren Angebote bevorzugten“. Fast 50 Prozent des Absatzes entfielen zwischenzeitlich auf Haushaltswaren verschiedenster Art und nicht auf Möbel. „Schrankwände mit dunklen Fronten kauft uns niemand mehr ab, die müssen wir von vornherein ablehnen“. Kostendeckung sei das Ziel. „Bezogen auf die Standorte Weiden, Vohenstrauß, Tirschenreuth und Cham erreichen wir dies auch derzeit.“ Stolz verweisen die beiden auf „nur 5 Prozent Entsorgungsfälle“.

Manchmal werden auch Gegenstände an Bedürftige verschenkt, zum Beispiel an Asylbewerber. „Strafentlassenen haben wir auch schon ganze Wohnungen eingerichtet.“ Besonders wichtig für die Kostendeckung ist für Drabsch und Friedrich der Bereich „Werkhof-Dienstleistungen“ bei der Integrationsfirma für Schwerbehinderte. Dazu zählen Umzugs- und Transporthilfen und viele „haushaltsnahen Dienstleistungen“. Es wird nach pauschalen Kostenvoranschlägen oder auf Regie abgerechnet. Dringend wird eine „weibliche Arbeitskraft mit Schwerbehinderteneigenschaft für den hauswirtschaftlichen Bereich“ gesucht.

Aktuell 40 Mitarbeiter

Derzeit sind neben den vielen ehrenamtlichen Helfern an allen vier Standorten 40 Mitarbeiter beschäftigt, darunter 16 fest angestellte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. „Wir haben ein tolles Betriebsklima. Vorübergehende Schwächen Einzelner werden kameradschaftlich abgefangen“, versichern Drabsch und Friedrich. Zudem gebe es auch sozialpädagogische Begleitung. Und der Mindestlohn sei kein Thema: „Wir bezahlen nach dem höheren Tarif des diakonischen Werks“.

Hintergrund

Ein Gewinn nur für die Beschäftigten Weiden. (sbü)

Die heutige „Ostbayerische Dienstleistungsagentur“, früher Werkhof, wurde 1993 zunächst in Vohenstrauß als eines von vielen Arbeitsmarktprojekten zum Ausgleich hoher Arbeitsplatzverluste (u. a. Hölzl, Seltmann, Grundig) gegründet. Rasch kamen Spenden und Kunden aus dem westlichen Landkreis, so dass ein Jahr später auch in Weiden der Werkhof in der Christian-Seltmann-Straße eröffnet wurde. Nach zwischenzeitlicher Unterbringung in der Pressather Straße verfügt „der Werkhof“ seit 2012 in der Oberen Bauscherstraße über mehr als 2000 Quadratmeter Fläche. Weitere Standorte gibt es derzeit in Vohenstrauß, Tirschenreuth und Cham.

In der Dienstleistungsagentur werden seit ihrer Gründung zahlreiche Beschäftigungsmaßnahmen für Ältere, ungelernte Spätaussiedler, Migranten, Langzeitarbeitslose oder leistungsschwächere Jugendliche durchgeführt. Anleitung, theoretische Bildungsteile und sozialpädagogische Betreuung verhelfen zu neuen beruflichen Zukunftsperspektiven. Arbeitsmarktprojekte und soziale Dienstleistungen im öffentlichen Interesse ergänzen sich gegenseitig.

Damit dies alles auch funktioniert sind circa 30 ehrenamtliche Mitarbeiter erforderlich und auch Sachspenden. Großspenden (Möbel) werden kostenfrei abgeholt, kleinere Artikel sollten gebracht werden. Verkauf und Dienstleistungen dienen ausschließlich der Mitfinanzierung der laufenden Kosten und der Verwirklichung der „Werkhof-Idee“. Die gemeinnützige Einrichtung arbeitet nicht gewinnorientiert.

Quelle Der neue Tag
http://www.oberpfalznetz.de/onetz/4717953-118-messie-wohnungen-sind-tabu,1,0.html

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