Viele Wege bei Pflegebedürftigkeit

Diakon Karl Rühl bricht Lanze auch für stationäre Wohnformen – Angehörige nicht überlasten

Neustadt/WN. (ui) Über zwei Millionen Deutsche sind pflegebedürftig. Zwei Drittel davon leben zu Hause und kommen oft nur mit Hilfe ihrer Angehörigen zurecht. Besonders hoch ist im Landkreis die Zahl der Pflegebedürftigen, die ambulant oder von der Familie versorgt werden. In einem Heim wohnt nur ein Viertel aller Pflegebedürftigen. Das ist die niedrigste Quote in der Oberpfalz. Zu Chancen und Problemen bei der Pflege sprach Redakteur Uwe Ibl mit Diakon Karl Rühl, den Leiter des Diakonischen Werkes Weiden.

Wie beurteilen Sie die Versorgung pflegebedürftiger Menschen durch Verwandte?

Karl Rühl: Aus meiner Sicht ist die Familie auch in diesem Bereich intakt. Angehörige pflegen einen engen Kontakt, und es besteht auch in der Pflegephase, die im Durchschnitt sechs bis acht Jahre dauert, eine hohe Verbundenheit und emotionale Nähe.

Wo stößt man auf Probleme, und wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege aus?

Karl Rühl: Die praktische Pflege und berufliche Vereinbarkeit wirft Fragen auf: So können viele Angehörige diese Aufgabe nicht übernehmen, weil sie gar nicht in unmittelbarer Umgebung des Pflegebedürftigen leben. Außerdem gehen Pflege und Beruf einher mit der persönlichen Abwägung der eigenen Ressourcen. Ich muss aus meiner Erfahrung mit Sorge sagen, dass der pflegende Angehörige in der Gefahr steht, an dieser Dauerbelastung zu erkranken, zu vereinsamen, mit einem möglichen Armutsrisiko zu kämpfen hat und vieles mehr. Einen Angehörigen zu pflegen und dabei noch berufstätig zu sein ist ein gewaltiger Kraftakt.

Ist das alleine zu schaffen?

Karl Rühl: Wer Beruf und Pflege vereinbaren will, der sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Für die Kosten kommen die Pflegeversicherung und auch die Krankenkasse auf.

Was ist notwendig, um Pflege und Beruf zu vereinbaren?

Karl Rühl: Als Arbeitgeber stelle ich fest, dass es hierzu betriebliche und gesetzliche Rahmenbedingungen braucht, die pflegenden Angehörigen die dazu benötigte Zeit verschafft. Daneben gilt es, eine finanzielle Basis zu gewährleisten und das berufliche Umfeld zu erhalten. Das Thema “Pflege und Beruf” könnten im Mitarbeiterjahresgespräch, auf Betriebsversammlungen und Infotagen besprochen werden.

Wo findet man Hilfe bei einem sich abzeichnenden Pflegefall?

Karl Rühl: Naht die Pflege, kann man sich in unserer Gegend nicht an einen Pflegestützpunkt wenden, da es den nicht gibt. Von daher würde ich einen Experten kontaktieren. Das können Leiter von ambulanten Stationen wie der Diakonie, Heimleiter, Hausärzte, Pflegefachpersonal oder Pflegefachberater der Kassen sein. Diese Informationen sind bei allen Anbietern, soweit ich weiß, kostenlos.

Welche Angebote gibt es, um Pflege und Beruf zu vereinbaren?

Karl Rühl: Wir unterscheiden zwischen ambulanten und stationären Pflegekonzepten. Zu den ambulanten Konzepten zählen: Sozialstationen, Tages-, Kurzzeit-, Tag- und Nacht- sowie Verhinderungspflege und Betreuungsleistungen. Dazu kommen Betreutes Wohnen, ambulante Wohngemeinschaften, Essen auf Rädern, die hauswirtschaftliche Versorgung und vieles mehr. Neben dem ambulanten Bereich gibt es stationäre Einrichtungen: Hospizhäuser, Beschützende Einrichtungen und das klassische Altenheim. Die stationären Pflegeeinrichtungen geraten derzeit ins Hintertreffen.

Warum ist das so, und wie sieht die Situation in der Region aus?

Karl Rühl: Das ist auch politisch gewollt, denn es gilt der Slogan: ambulant vor stationär. Daraus hat sich leider eine öffentliche Tendenz abgezeichnet, die in die Richtung geht, ambulant ist gut, stationär ist schlecht. Wir brauchen aber beides. So sind wir beispielsweise auch in der Diakonie aufgestellt. Wir wollen eine Vielfalt an Betreuungsmöglichkeiten, um allen Lebenslagen gerecht zu werden.

Ist stationäre Pflege gleichzusetzen mit dem oft gefürchteten Heim?

Karl Rühl: Immer wieder bin ich erstaunt, wie schnell gesagt wird: “Nur nicht in das Heim.” Ja, in ein sogenanntes “Heim” will ich auch nicht. Aber ist beispielsweise das Sindersberger Haus in Weiden ein Heim? Werde ich da mit Zwang eingewiesen oder für unfrei erklärt? Bin ich ein unmündiger Mensch, wenn ich im Alter diese Wohnform für mich wähle? Wir tun gut daran, im öffentlichen Diskurs dieser Wohnform samt der Arbeit der Schwestern, Pfleger, Gerontofachkräfte, Sozialarbeiter, Köche oder Hauswirtschaftler differenzierter und mit Wertschätzung zu begegnen. Pauschale Abwertungen können auch die Motivation derer rauben, die die Arbeit bewältigen. Durch die Bemühungen der Altersforschung zusammen mit den gesetzlichen Grundlagen und Qualitätsstandards hat die Wohnform der stationären Pflege ein hohes Niveau erreicht.

Gibt es Untersuchungen über die Zufriedenheit bei den Bewohnern stationärer Einrichtungen?

Karl Rühl: Wir betreiben vier stationäre Einrichtungen. In verschiedenen Prüfungen wurde die sogenannte Kundenzufriedenheit durch den medizinischen Dienst und Heimaufsicht bei Befragungen der Bewohner mit 1,0 bis 1,3 angegeben. Diese Traumnoten finden sich auch in Einrichtungen anderer Träger. In stationären Wohnformen finden Menschen auch wieder zur Freude und Lebenslust. Es gibt also eine Diskrepanz zwischen dem, was Außenstehende über stationäre Pflege meinen sagen zu müssen, und dem, was Bewohner in den Häusern sehen und erleben.

Wie kommt es zu diesen Noten?

Karl Rühl: Ehrenamtliche und Fachkräfte vollziehen tagtäglich ein anspruchsvolles Einzel- und Gruppenprogramm, einhergehend mit therapeutischen Maßnahmen. Es wird gemalt, Joghurt hergestellt, in die Stadt gegangen, miteinander gelacht und geweint, Gottesdienste gefeiert, der Koch versucht nach den Wünschen der Bewohner zu arbeiten, regelmäßig wird gefeiert…

Ist das stationäre Wohnen also eine echte Alternative zur Pflege zu Hause und damit eine Lösungsmöglichkeit für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege?

Karl Rühl: Wir benötigen weiterhin eine breit aufgestellte ambulante und stationäre Betreuung. Doch irgendwie haben das so manche öffentliche Akteure noch nicht als Lebensqualität verstanden und meinen, diese Wohnform, die Menschen wählen, schlecht reden zu dürfen. Damit ist niemandem gedient, geht an der Realität vorbei und macht jenen ein schlechtes Gewissen, die vielleicht für sich und mit ihrem Angehörigen erkannt haben, dass die stationären Pflege für sie die beste Möglichkeit ist, auch Beruf und Pflege zu vereinbaren.

Quelle: Der Neue Tag Weiden – Artikel vom 26.11.2010

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