„Auf dieses Zimmer bin ich geflogen“

Anneliese Hein tauschte ihre große Wohnung gegen ein Zimmer im Altenheim – „Gut aufgehoben“

Weiden. (mte) Einerseits hackt sie im Zehn-Finger-System in ihre alte Olympia-Schreibmaschine. Andererseits findet sich auf ihrem Nachttisch ein Handy: „Damit lass ich mich täglich wecken“, erklärt Anneliese Hein aus Zimmer 503 im Eleonore-Sindersberger-Seniorenheim. Sie ist 88 Jahre alt.

„Schade, dass die meisten erst hierher kommen, wenn sie liegen“, sagt Anneliese Hein, die sich vor drei Jahren zum Umzug ins Altenheim entschied. Ganz bewusst.

34 Quadratmeter umfasst ihr Zimmer. Plus großzügigen Flur mit Einbauschrank und Badezimmer. Und inklusive ihres Lieblingsplatzes: der große Balkon. „Seinetwegen bin ich geradezu auf dieses Zimmer geflogen“, erzählt Anneliese Hein, schiebt die Gardinen zur Seite und schreitet hinaus zu ihren geliebten Pflanz-Kästen, dem Rosenbeet darunter und dem Vogelhäuschen schräg gegenüber. „Vorsicht, Stufe“, ruft sie den halb so alten Besuchern hinter sich zu. Und: „Erst kürzlich hat der Hausmeister mir hier Unkraut gezupft, ein netter Mann. Ich könnt’s ja nicht mehr machen.“ Anneliese Hein würde aber sicher gerne. Schließlich liebt sie Blumen: „Nächste Woche kommen die Hängegeranien. Solche wollte ich schon immer mal auf dem Balkon haben. In meiner alten Wohnung habe ich wegen der Nachbarn unterhalb stets darauf verzichtet. Aber jetzt geht’s.“ Anneliese Hein wohnt nun im Erdgeschoss.

„Das passiert mir nicht“

Die alte Wohnung lag in den Naabwiesen. 91 Quadratmeter groß war sie. Verlassen hat Anneliese Hein sie, nachdem das mit ihren zwei Freundinnen passiert war. Die eine erlitt einen Schlaganfall, die andere zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu. „Beiden sagte man im Krankenhaus, dass sie nicht mehr nach Hause könnten. Aber nach was anderem hatten sie sich noch gar nicht umgeschaut“, erzählt Anneliese Hein. „Damals habe ich mir geschworen, das passiert mir mal nicht.“

1997, nach dem Tod ihres Mannes Werner, hatte sie den ersten Schritt gemacht: Sie ließ sich im „Sindersberger“ vormerken. 2009 machte Anneliese Hein Nägel mit Köpfen, sprach über ihre Umzugspläne mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter. Beide leben in Würzburg. „Nachdem ich auch immer mehr unter Schwindel gelitten und mehrere Stürze hinter mir hatte, beruhigten meine Pläne die Kinder.“

Anneliese Hein zog ins Altenheim, löste die große Wohnung auf. „Zum Glück fing damals meine Enkeltochter in Göttingen an zu studieren, da konnte sie einfach alles brauchen.“ Teppiche, Elektrogeräte und und und. „Alles, was ich nicht verschenkt habe, hat der Weiße Ring geholt.“ Viele Bücher zum Beispiel. „Wir hatten eine sehr große Bibliothek.“ Ihre wichtigsten Werke behielt Anneliese Hein. Sie zieren das schmale, raumhohe Regal in Zimmer 503. In der Schrankwand findet sich ihr gutes Geschirr, neben dem Tisch die Schreibmaschine, über dem Bett Bilder der Familie. Insgesamt drei Enkel hat Anneliese Hein. Und in der Ecke steht das Fernsehgerät. Die 88-Jährige guckt gerne Fußball: „Das habe ich wohl von meinem Mann übernommen.“

Viel Zeit zum Fernsehen hat Anneliese Hein eigentlich nicht. Termine über Termine pinnen allein schon an ihrer goldenen Standleuchte neben dem gemütlichen Sessel: Fußpflege. Besprechung mit den Seniorenbeauftragten, Französisch-Kurs an der Volkshochschule oder die Einladung des Oberpfälzer Kunstvereins zur Ausstellungseröffnung finden sich da beispielsweise. Anneliese Hein ist OKV-Mitglied. Sie bannte zum Beispiel Geranien in der Vase auf die Leinwand. Das Werk hat gleich rechts von der Stehlampe seinen Platz gefunden. Gerade kommt die Vorsitzende des Heimbeirats übrigens von der Kochbesprechung, bei der die Köche ihr und den anderen den Speiseplan des Folgemonats serviert haben. „Abgestimmt auf den EM-Spielplan“, lobt Anneliese Hein. Als Fußball-Fan weiß sie das zu schätzen.

Voll ausgelastet

Überhaupt meint sie: „Ich bin hier im Heim gut aufgehoben, gehe aber auch gerne raus zu Konzerten und Kabaretts.“ Als Heimbeiratsvorsitzende würden sich ihr zusätzliche Möglichkeiten bieten: „Da kann ich im Alter Vorschläge machen, mich einbringen. Ich fühle mich hier voll ausgelastet. Das freut mich sehr. Aber ich muss auch sagen: All das kann man eben nur machen, wenn man rechtzeitig ins Heim geht.“

 

 

Quelle: Der neue Tag, Weiden www.oberpfalznetz.de

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