„Ich will nie wieder so sein“:
Wenn Gewalttäter Hilfe und Therapie suchen

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Wenn Gewalttäter Hilfe und Therapie suchen
Mai 172022
 

„Täterberatung“ klingt seltsam und im ersten Moment vielleicht auch etwas missverständlich. Doch die Arbeit dieser Anlaufstelle für Männer, die ihrer Partnerin gegenüber gewalttätig wurden, ist sehr wichtig. Das zeigt das Beispiel von Jürgen P.

Von Wolfgang Würth

Schwandorf. Und irgendwann kam die Polizei. Jürgen Ps. (Name von der Redaktion geändert) Partnerin hatte sie gerufen, am Kopf blutend und vom Badezimmer aus. Dort hatte sie sich eingesperrt, nachdem P. ihr einen Telefonhörer auf den Kopf geschlagen hatte. Die Beamten kamen der Frau zu Hilfe. Wenig später war auch Jürgen P. klar, dass er Hilfe benötigt.

Der Vorfall ist rund ein Jahr her. Wenn P. heute darüber spricht, klingt es beinahe so, als ginge es um die Tat eines anderen. Sachlich und mit Distanz spricht er darüber, was er seiner Partnerin damals im Streit angetan hat. P. scheint selbst zu bemerken, dass das bei einem Außenstehenden falsch ankommen könnte. Von selbst betont er plötzlich, dass die Schuld an dem Vorfall alleine bei ihm liegt. Es sei ihm wichtig gewesen, sich zu ändern. „Ich wollte so nicht mehr sein.“

„Fachkraft für Täterberatung“
Tatsächlich hat P. seit dem Vorfall einen weiten Weg zurückgelegt und an sich gearbeitet. Das bescheinigt ihm Katja Deyerl. Die Sozialpädagogin leitet bei der Diakonie in Weiden seit Anfang 2021 eine sogenannte Täterberatung. Die 43-Jährige ist als „Fachkraft für Täterarbeit häusliche Gewalt“ speziell ausgebildet mit Menschen zu arbeiten, die in ihren Beziehungen gewalttätig geworden sind. Grundsätzlich können Täter auch Frauen sein, es kann sich auch um eine homosexuelle Beziehung handeln. Die Täterberatung in der Oberpfalz besuchen derzeit aber nur Männer. Manche kommen freiwillig so wie Jürgen P. Andere erhalten von der Justiz die Auflage, das Angebot zu besuchen.

Ohne vorherige Einzelgespräche sei das aber nicht möglich, erklärt Deyerl. Sie müsse zuerst abklären, ob der jeweilige Bewerber bereit ist, sich zu öffnen und ob auch die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind. So dürfe keine Suchterkrankung oder psychologische Auffälligkeit oder eine Suchterkrankung vorliegen. „Ein Stalker wäre zum Beispiel falsch“, veranschaulicht Deyerl.

In der Gruppe sollen es die Teilnehmer durch ihre Mitarbeit, durch Austausch und die Konfrontation mit ihren Taten, schaffen, künftig nicht mehr gewalttätig zu werden. Das ist das oberste Ziel des Angebots. Dazu sollen die Teilnehmer zunächst lernen, die Verantwortung für ihre Gewalttaten zu übernehmen, Empathie zu entwickeln, eigene Grenzen und die der anderen zu erkennen und zu akzeptieren. Letztlich gehe es darum, Konflikte sozial kompetent und gewaltfrei zu lösen.

Von der Partnerin selbst getrennt
Hieran arbeitet auch Jürgen P. seit etwa einem Jahr. Neben der Teilnahme an der Täterberatung absolviere er eine individuelle Verhaltenstherapie: „Ich will nie wieder so sein“, bringt der fast 50-Jährige seine Motivation nochmals auf den Punkt. Tatsächlich habe die Partnerin ihn nach dem Vorfall nicht verlassen, aber gefordert, dass er an sich arbeitet und dabei Hilfe sucht. Im Netz sei er dann auf die Täterberatung
aufmerksam geworden.

Das Angebot nutzt er bis heute, von der Partnerin habe er sich dagegen inzwischen getrennt. Auch
weil er durch die Beratung und die Therapie einen anderen Blick auf sich, sein Leben und sein Handeln gewonnen habe, hat er sich dazu entschieden. Dass bedeute aber nicht, dass er seiner früheren Partnerin
eine Teilschuld an seinen Taten geben will. „Für das, was ich gemacht habe, bin ich ganz alleine verantwortlich.“ Dennoch habe er für sich festgestellt, dass ihm und seinem Wesen die Nähe zu der Frau nicht gut getan habe.

Alle Schichten, alle Nationalitäten
Tatsächlich komme das immer wieder vor, sagt Katja Deyerl über die Teilnehmer der Beratung: Dass sich die Täter von ihren früheren Opfern trennen, statt anders rum. Allerdings warnt die Sozialpädagogin vor zu einfachen Verallgemeinerungen. Es sei sehr schwer Aussagen zu treffen, die für alle Teilnehmer gelten „Die Männer in der Beratung kommen aus allen Schichten“, sagt sie. Es sei nicht so, dass es nur sozial schwache Schichten betreffe oder bestimmte Kulturkreise. Es sei zwar richtig, dass der kulturelle Hintergrund die eigene Einstellung zur Gewalt und zur Rolle der Frau prägen kann. Aber es sei viel zu einfach, zu sagen, jemand wird gewalttätig, weil er aus einem bestimmen Land oder einer bestimmten Religion kommt.

Überhaupt warnt Deyerl vor Schwarz-und-Weiß-Denken. Es sei nicht so, dass sich ausschließlich brutale Schläger vierzehntägig bei ihr zum Austausch treffen. „Es sind wirklich ganz tolle Männer in der Gruppe“, sagt die Sozialpädagogin. Wenn es da etwas Verbindendes gibt, dann seien das negativ prägende Erfahrungen in der eigenen Kindheit. Bei vielen der Teilnehmer haben die Eltern kein gutes Beispiel abgegeben, den Kindern nicht vermittelt, dass es in einer Partnerschaft vor allem um einen liebevollen Umgang gehen sollte.

Mit rosa Jacke in die Schule
An der Stelle nickt Jürgen P: „Meine Eltern waren nie nett zueinander.“ Tatsächlich klingt die Schilderung
seiner Kindheit schon eher nach einem Glasscherben-Klischee. P. ist in einer sozial schwachen Familie mit sehr vielen Geschwistern aufgewachsen. Gewalt, um sich durchzusetzen, habe darin immer eine gewissen Rolle gespielt. Auch der eher schwächliche kleine Jürgen habe in den 1970ern lernen müssen, sich zu behaupten. „In der zweiten Klasse musste ich einen rosa Anorak mit Blumenmuster in die Schule anziehen“, erinnert er sich. Seine Eltern hatten einfach kein Geld, um für den Winter eine andere Jacke zu kaufen. „Können Sie sich vorstellen, was eine rosa Jacke mit Blumenmuster in der Klasse für mich bedeutet hat?“ Um sich wehren zu können, beginnt Jürgen P. mit Kampfsport und wird bald recht erfolgreich. Gleichzeitig startet er eine Karriere als „Discoschläger“ im Schwandorfer Raum. „Der Jugendrichter hat mich damals auf der Straße mit Namen gegrüßt. So oft war ich bei dem.“

Gutes Verhältnis zu den Kindern
Allerdings schafft P. den Absprung von der schiefen Bahn. Heute arbeitet er als Spezialist in der Logistikbranche, verdient dort gut. Seine erste Ehe wurde vor elf Jahren geschieden, zu seinen heute erwachsenen Kindern habe er ein sehr gutes Verhältnis. „Ihnen gegenüber war ich nie gewalttätig.“ Seiner Ex-Frau gegenüber allerdings schon. Einmal habe es einen Vorfall gegeben. Bei seiner neuen Partnerin habe es dann mit verbaler Gewalt begonnen, später habe er sie immer wieder im Streit geschubst. Bis
dann der Schlag mit dem Telefonhörer kam.

Wie das möglicherweise alles zusammenhängt und wo die Verbindung zu seiner Entwicklung liegt, das habe er sich unter anderem auch durch die Täterberatung erschließen können. Sich dort zu öffnen, sei alles andere als leicht gewesen und habe einige Sitzungen gedauert. Heute sei er froh, dass er den Mut aufgebracht hat, sagt Jürgen P. Tatsächlich habe er den Eindruck, dass sich die Beschäftigung mit sich auch auf seinen Alltag niederschlägt.

Er werde seltener wütend, komme ohne Beleidigungen aus. Auch im Umgang mit seinen Arbeitskollegen habe er das Gefühl, dass ihm die Beratung und Verhaltenstherapie helfe. „Tatsächlich hat mir mein Vorgesetzter im Jahresgespräch erst gesagt, dass es einfacher und angenehmer ist, mit mir umzugehen.“ Die anfangs mühevolle Beschäftigung mit sich und seinem Verhalten scheinen sich für Jürgen P. nun auszuzahlen.

Täterberatungsstelle der Diakonie Weiden:
Telefon: 0961/3 89 31 15, E-Mail
taeterberatung@diakonie-weiden.de,
www.diakonieweiden.de/taeterberatung

Der neue Tag, Ausgabe vom 17.05.2022

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Diakonie Weiden gibt neues Wohnprojekt für Menschen mit Behinderung zum Bezug frei

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Apr 082022
 

Pressemitteilung der Diakonie Weiden

Die Diakonie Weiden hat in den letzten Monaten eine 140m² Wohnung mit der finanziellen Unterstützung der Glücksspirale so umgebaut, dass dort eine selbständige Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung entstanden ist.
Maximal 4 Mieter*innen können die geräumige Wohnung nun mieten und dort eigenverantwortlich für alle Bereiche, wie jeder andere Mieter, wohnen und leben.
Gut 60 000,- € wurden zusätzlich in die Wohngemeinschaft  investiert. Dank der Glücksspirale, mit einer Förderung von knapp 50 000,- €, kann der bisherige Mietzins beibehalten werden.
Bezirkstags Vizepräsident Lothar Höher zeigt sich mit den Einrichtungsleitern Diakon Wolfgang Reuther und Sonja Rummler vom St. Michael-Zentrum über das Ergebnis der Umbauten beeindruckt. Konzeptionell ist das der richtige Weg, nämlich geeignete behindertengerechte und bei Bedarf begleitete Wohnformen zu schaffen. Der Grundsatz: Wo nur möglich, ambulant vor stationär, findet mit allen seinen neuen Herausforderungen eine Antwort.
Die neue Wohnform wird begleitet von der Fachstelle Ambulant Betreutes Wohnen der Diakonie Weiden. Vorstand Diakon Karl Rühl bedankte sich namentlich bei Frau Dick, Diakon Reuther, den Hausmeistern und der Verwaltung, die im Entstehungsprozess dazu beigetragen haben, dass nun diese selbstständige Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung entstanden ist.

von links nach rechts:
Bezirkstags Vizepräsident Lothar Höher, Pflegedienstleitung/stellv. Heimleitung Sonja Rummler, Heimleitung Diakon Wolfgang Reuther
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Weidener Altstadt kommt ins Eleonore-Sindersberger Altenheim

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Okt 072021
 

„Putzperle“ war gestern. Das Eleonore-Sindersberger-Altenheim arbeitet an einem neuen Projekt: „Altstadtgeschichten“. Doch zuvor müssen Gerontofachkraft Gerlinde Koch, Künstler Udo Binder und die Heimbewohner eine würdige Kulisse gestalten.

Weiden. (ppfr) Fünf Jahre lang hat Gerlinde Koch, Gerontofachkraft des Eleonore-Sindersberger-Altenheims Weiden, das Projekt „Leselampe“ betreut, wo sie vom Oberbürgermeister über den Musiker bis zum Leiter der KZ-Gedenkstätte
einfach jedem kecke Fragen stellte. „Damit konnten wir immer viele Leute begeistern. Wir haben es geschafft, die Leute gar von draußen dazu ins Heim zu holen“, erzählt sie stolz. Die Coronapandemie hat dem Projekt aber ein jähes Ende bereitet. Die „Leselampe“ wurde zum vorerst letzten Mal zum 50. Geburtstag des Seniorenheims 2019 angeknipst. Nun gibt es neue Ideen.

Mit dem Projekt „Altstadtgeschichten“ sollen die erfolgreichen Zeiten wieder aufleben. „Wir wollen die Altstadt ins Heim holen“, erklärt Gerlinde Koch. Und wie funktioniert’s? „Frau Koch wird als Putzperle Frau Huber auf dem Markt
unterwegs sein und interessante Leute kennenlernen, mit denen sie dann auf einen Tratsch ins Café geht“, erläutert die Ideengeberin. Diese interessanten Leute werden dabei direkt ins Seniorenheim eingeladen, wobei die Bewohnerinnen
und Bewohner bestimmen, wer kommen soll. Auch können die Heimbewohner den geladenen Gästen dann Fragen stellen.

Altes Rathaus als Kulissenbild
Bevor die Altstadtgeschichten aber so richtig loslegen können, braucht es ein Kulissenbild. Heimbewohner arbeiten daran mit, füllen es mit Farbe und mit Leben. Ein markantes Motiv Weidens soll gezeigt werden: das Alte Rathaus. Udo Binder, freischaffender Künstler und Lehrer im Ruhestand, hilft mit. Binder ist kein Unbekannter im Heim, betreut er doch die künstlerischen Aktivitäten seit geraumer Zeit.

Schnell wird deutlich, dass das ausgesuchte Motiv des Weidener Rathauses es durchaus in sich hat. Binder hat einen Scherenschnitt des städtischen Wahrzeichens erstellt und dabei Linien des Malers Piet Mondrian entdeckt, an denen
er sich orientiert hat. Der Künstler hat im Folgeschritt das Grundgerüst des Rathauses auf eine 2 mal 3 Meter große Leinwand übertragen, die nun von den Heimbewohnern farblich gestaltet wird. „Mondrian verwendet die Grundfarben Rot, Gelb und Blau in seinen Werken. So wird Kunst für jeden zugänglich, da keine Farben gemischt werden müssen. In unserem Fall werden wir aber die Farbe Grün genauso verwenden, weil sie im Weidener Stadtwappen enthalten ist“, erklärt Binder. Die Stimmung ist gut beim Kunsttreff der Senioren. Gemeinsam geht es voran mit der Kulisse und damit mit dem neuen Projekt. „Das macht einen schon stolz und ist wirklich eine tolle Idee“, findet Bewohner Helmut Kraus. Auch Heinrich Rößler beobachtet die Arbeit seiner Mitbewohner gespannt: „Es ist sehr schön, bei den Arbeiten zuzusehen.“

Gemeinschaft im Vordergrund
Das findet Künstler Binder übrigens auch: „Es freut mich sehr, mit den Leuten im Heim zu arbeiten. Wenn die Kinder und Enkel der Heimbewohner zu Besuch kommen und die verschiedenen Kunstwerke ihrer Lieben sehen, dann sind sie
immer stolz, dass sie ein Teil davon sind.“ Ideengeberin Gerlinde Koch bestätigt stolz: „Das wird ein tolles Projekt.“ Dann denkt sie schon weiter: „Wir wünschen uns, dass wir damit viele begeistern können.“ Der erste Tratschpartner steht auch schon fest, wird aber noch nicht verraten.

Quelle: Der neue Tag 01.10.2021

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Diakonie Weiden wählt neues Aufsichtsgremium

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Apr 092021
 

Weiden. (exb) Unter reger Onlinebeteiligung fand die Mitgliederversammlung des Diakonischen Werkes des Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirks Weiden statt. Der Verwaltungsratsvorsitzende Clemens Link, seit 2010 in dieser Funktion, dankte Vorstand Diakon Karl Rühl und dem Verwaltungsrat für die Zusammenarbeit. Das Diakonische
Werk, so Link, kam vor gut 10 Jahren aus einer existenzgefährdeten Situation und es sei bemerkenswert, „dass alle wesentlichen Kennzahlen verbessert werden konnten“.
Aufgrund des Ausscheidens von Dekan Wenrich Slenczka und Diakoniepfarrer André Fischer, beide haben das Dekanat im Frühjahr verlassen, übernahm Lothar Höher den weiteren Verwaltungsratsbericht. Neu entstand die Tagespflege „In d‘ Wein“, die Täterberatung und das „Weidner Modell“, das Ambulant Betreute Wohnen, der Integrationslotse, die aufsuchende Seelsorge. Der Verwaltungsrat habe den Vorstand für die Planung von zwei größeren Investitionsprojekten mit einer Gesamtsumme von 16 Millionen Euro beauftragt. Mit ihren mehr als 400 Beschäftigten sei die Weidener Diakonie ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Arbeit.
Das neue Aufsichtsgremium besteht aus Clemens Link als Vorsitzender, Rechtsanwalt Rouven Colbatz, Ärztin Dr. Freifrau von Lindenfels, Pfarrer Manuel Sauer, Lothar Höher und Dekan Thomas Guba, als Leiter des Dekanats. Guba übernimmt den stellvertretenden Vorsitz des Gremiums.
Das teilte nun das Diakonische Werk Weiden mit.

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»Täterberatung ist Opferschutz«

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Feb 212021
 

Diakonie Weiden startet Täterberatung / Katja Deyerl für Nordoberpfalz zuständig

Das bayerische Sozialministerium hat landesweit die Einrichtung von Täterberatungsstellen forciert. Seit 1. Januar gibt es so eine Stelle bei der Diakonie Weiden. Sie wird von Katja Deyerl bekleidet. »Täterberatung ist Opferschutz«, sagt die Diakonin und Sozialpädagogin.

Frau Deyerl, bei der Täterarbeit geht es darum, den Tätern zu helfen. Wie lässt sich Gewalt abtrainieren?
Katja Deyerl: Kein Mensch ist von Geburt an gewalttätig, gewalttätiges Verhalten wird erlernt. Auch die Sozialisation spielt eine Rolle: Männer sollen stark sein, eine gewisse Aggressivität haben, die in manchen Bereichen wie Sport und Beruf von Vorteil ist. Aber in einer Paarbeziehung hat Gewalt nichts zu suchen. Außerdem weiß man, dass Frauen häufig nicht die Beziehung beenden wollen, sondern sie möchten, dass die Gewalt
endet. Es lohnt sich also, daran zu arbeiten.

Gewalttätige Paarbeziehungen – wie häufig kommt das vor?
Deyerl: Es gibt kaum eine Familie, in der es keine Gewalt gibt. Die Frage ist aber: Ist es ein vorübergehendes Ungleichgewicht, weil ein Elternteil gerade gestresst ist? Oder liegt eine dauerhafte Schieflage vor? Wenn die Machtverteilung permanent ungleich ist, leidet die Frau darunter. Zu über
80 Prozent geht die Gewalt vom männlichen Partner aus.

Sie arbeiten mit den Tätern an dem Problem. Welche Schritte sind dafür notwendig?
Deyerl: Wir stehen mindestens ein halbes Jahr mit den Männern in Kontakt, haben zu Beginn mehrere Einzelgespräche, die dann nach einer gewissen Zeit in ein Gruppentraining münden. Das sind in der Regel 25 Treffen à zwei Stunden nach einem standardisierten Verfahren. Dabei machen wir Notfall- und Sicherheitspläne, wie der Täter aus der Situation
aussteigen kann. Wir stellen im Training die Gewaltsituationen nach: Was ist an dem Tag passiert, was ist da im Täter abgelaufen?

Wie ist Ihre Einstellung zum Täter?
Deyerl: Wir verurteilen nicht den Mann, sondern die Gewalt. Trotzdem ist es so, dass der Mann zu 100 Prozent verantwortlich ist für seine Tat. Er kann über die Justiz zur Rechenschaft gezogen werden. Aber auch wenn er sein Verhalten verändern und dieses Programm durchlaufen will, geht es nur, wenn die Berater konfrontativ und gewaltzentriert mit dem Thema
umgehen, und allen Beteiligten klar ist, dass er gewalttätig geworden ist.

Wie viele Paare bleiben nach der Beratung zusammen?
Deyerl: Eine Erfolgsquote lässt sich schwer evaluieren, weil man mit einer hohen Dunkelziffer bei der Rückfallquote rechnen muss. Gewalt im häuslichen Bereich ist extrem schambesetzt. Klar ist aber, dass in einer Familie, in der es häusliche Gewalt gibt, zugleich immer auch eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Auch wenn die Kinder selbst die Gewalt nicht spüren, erleben sie psychische Gewalt. Deshalb ist es wichtig, mit der ganzen Familie daran zu arbeiten. Da geht es um Wiedergutmachung – nicht nur der Mutter, sondern auch den Kindern gegenüber.

Wie lange dauert es in der Regel, bis die Klienten nicht mehr gewalttätig sind?
Deyerl: Vom Trainingsprogramm her sollte die körperliche Gewalt nach drei Monaten aufhören. Der Mann brüllt vielleicht noch oder schlägt Türen, aber nicht mehr die Frau. Wir arbeiten mit klaren Vereinbarungen: Der Täter muss eine Gewaltverzichtserklärung unterscheiben. Wer das nicht kann, der ist bei uns fehl am Platz.
Interview: Gabriele Ingenthron

Katja Deyerl ist über E-Mail: taeterberatung@diakonie-weiden.de oder mobil: (0 15 20) 3 28 28 38 zu erreichen.

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Diakonie startet Täterberatung: „Gewalt lässt sich auch abtrainieren“

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Jan 292021
 

Viele Frauen wollen keine Trennung, sondern ein Ende der Gewalt. So die Erkenntnis der Mitarbeiterinnen im Frauenhaus. Doch den meisten Männern gelingt das nicht ohne Hilfe. Die erhalten sie jetzt beim Diakonischen Werk Weiden.

Weiden. (ps) Den Wunsch, nicht nur den Opfern von Gewalt, sondern auch den Tätern zu helfen, hatten Diakon Karl Rühl und Enikö Nagy schon lange. Jetzt ist der Wunsch des Geschäftsführers der Diakonie Weiden und der Leiterin des Weidener Frauenhauses in Erfüllung gegangen. Seit 1. Januar gibt es eine Täterberatungsstelle bei der Diakonie. Zuständig dafür ist Katja Deyerl. Ihr Einsatzbereich umfasst die gesamte Nordoberpfalz von Tirschenreuth über die Bereiche Neustadt/ WN, Weiden und Amberg bis zu Schwandorf. In Weiden, Amberg und Schwandorf werden noch geeignete
Beratungsräume gesucht.

Oberpfalz: Zwei halbe Stellen
Das Bayerische Sozialministerium hat die Einrichtung von Täterberatungs-stellen landesweit forciert. „Sonst gibt es in jedem Regierungsbezirk nur eine derartige Fachstelle“, erklärt Rühl. Doch in der Oberpfalz hätten sich die Diakonie Weiden und der Regensburger Verein „Kontakt“ schließlich darauf geeinigt, jeweils eine halbe Stelle einzurichten und die Zuständigkeitsbereiche in Nord- und Südoberpfalz aufzuteilen. Außerdem seien die Schwerpunkte etwas unterschiedlich. „Der Mitarbeiter in Regensburg hat mehr Erfahrungen mit Männern aus dem Strafvollzug, bei unserer Mitarbeiterin steht das Thema häusliche Gewalt im Mittelpunkt.“

„Täterberatung ist Opferschutz“, erklärt Katja Deyerl (42). Im Herbst hat die Diakonin und Sozialpädagogin, die in den vergangenen 13 Jahren in der Schulsozialarbeit am Förderzentrum Sulzbach-Rosenberg tätig war, die Weiterbildung zur Fachkraft für häusliche Gewalt begonnen. „Wir profitieren hier von den jahrelangen Erfahrungen in anderen Bundesländern.“ Die Weiterbildung sei standardisiert. Die Ausbilder durchwegs aktive Fach-kräfte der Bundesarbeitsgemeinschaft für häusliche Gewalt mit langjähriger Praxiserfahrung.

Die erste Projektphase ist laut Karl Rühl bis Ende 2022 vorgesehen. Zur Mit-finanzierung hat das Diakonische Werk jeweils 1500 Euro pro Jahr von der Stadt Weiden und den Landkreisen Neustadt/WN und Tirschenreuth beantragt. „Aus Neustadt kam bereits eine positive Rückmeldung.“

Nach neun Monaten gewaltlos
Ziel der Täterberatung ist es, so Deyerl, die Gewalt zu beenden. Der Betrof-fene muss allerdings zur Veränderung bereit sein. „Ich empfehle anfangs drei bis vier Einzelgespräche, um abzuklären, in welchen Situationen der Mann gewalttätig geworden ist. Was soll verändert werden und wie lässt sich das erreichen?“ Nur wenn der Betroffene zur Mitarbeit bereit sei, werde die Beratung fortgesetzt. „Gewalttätiges Verhalten ist erlernt, also kann es auch wieder abtrainiert werden.“ In Einzelgesprächen und Gruppentraining lernt der Täter, wie er in Szenarien, in denen er früher zugeschlagen hat, anders reagieren kann.

Die Erfahrungen der bereits existierenden Täterberatungsstellen sind sehr gut. „Nach etwa drei Monaten endet die Gewalt“, weiß Deyerl. „Der Mann brüllt vielleicht noch oder schlägt mit der Tür, aber nicht die Frau. Nach acht bis neun Monaten sind die Männer weitgehend gewaltlos, wenn sie dieses standardisierte Training absolviert haben.“ Viel Mut und der entsprechende Wille gehören dazu. „Wir bieten die nötige Unterstützung.“

„Eine Hand rutscht nicht aus“
„Jede vierte Frau in Deutschland ist von Gewalt betroffen. Das zieht sich quer durch alle Schichten“, weiß Enikö Nagy, die Leiterin des Weidener Frauenhaues. Wenn eine Frau nach der vorläufigen Trennung zu ihrem Mann zurückkehren wolle, sei die Täterberatung mit entsprechendem Training eine gute Alternative.

Der Mann müsse allerdings bereits sein, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Denn, so Nagy: „Laut Studien gibt es keinen Affekt. Eine Hand rutscht nicht aus.“ Das Angebot der Täterberatung ist kostenlos und anonym. Es gilt übrigens auch für Frauen, die zu häuslicher Gewalt neigen. Zu über 80 Prozent geht die Gewalt jedoch vom männlichen Partner aus. Selbst wenn die Kinder verschont bleiben und sich während
der Auseinandersetzung im Nebenzimmer aufhalten, steht für Deyerl fest. „Wo es zu häuslicher Gewalt kommt, liegt immer eine Kindeswohlgefährdung vor.“

Zukunftsplan: „Weidener Modell“
Die Täterberatungsstelle soll deshalb über Kooperationsverträge mit Jugendämtern, Familiengerichten und anderen Einrichtungen vernetzt werden. Enikö Nagy plant für die Zukunft sogar ein „Weidener Modell“, ähnlich dem bereits existierenden „Münchner Modell“. Ziel ist ein standardisiertes Vorgehen von Frauenhaus, Jugendämtern und Justiz in Fällen von häuslicher Gewalt.

Denn häusliche Gewalt sei ein Sonderfall. Aber das, meint Nagy, sei nicht jedem Richter bewusst. Wenn ein narzisstischer Vater falsche Vorwürfe gegen seine Frau erhebe – zum Beispiel sie habe die Kinder entführt und verkaufe Drogen – könne es lange Zeit dauern, bis die Frau diese Vorwürfe wieder entkräfte. Die Täterberatung sei ein wichtiger Schritt, um das Verhalten der Betroffenen zu verändern. Letztlich würde sich dadurch auch in der Gesellschaft vieles verändern. „Aber das ist ein langer Prozess.“

Katja Deyerl ist über die E-Mail-Adresse
taeterberatung@diakonie-weiden.de
erreichbar oder über die Handynummer:
01520/3282838.

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Für viele Frauen, die zuhause unter Gewalt leiden, ist das Frauenhaus die letzte Lösung. Bewohnerinnen, Mitarbeiterinnen und Ehrenamtliche erzählen von Angst, Wut, Schlägen und Beleidigungen – aber auch vom Beginn eines Lebens ohne Gewalt.

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Aug 222020
 
Grafik: Maria Oberleitner/Christian Gold

„Auf einmal standen Morddrohungen im Raum, es war wie im Actionfilm.“

Monatelang, jahrelang wurde Anna von ihrem Freund bedroht, beleidigt, geschlagen. Ihre Rettung fand sie im Weidener Frauenhaus. Annas Geschichte ist kein Einzelfall. Sie erinnert sich.

Von Maria Oberleitner

Weiden. Die gepackte Reisetasche stand einen Monat lang im Schrank von Annas Freundin. Darin die nötigsten Klamotten für sich und die Kinder, wichtige Papiere und Unterlagen – und ihr Schmuck. „Eigenes Geld hatte ich ja keines“, gesteht Anna. Sie griff sich im gemeinsamen Haus noch die Schulranzen der Kinder – und ging. Anna hat ein neues Leben angefangen – in Weiden.

Was sich liest wie der Bericht einer Auswanderin, ist eine Geschichte häuslicher Gewalt. Anna, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat acht Monate lang mit ihren drei Kindern im Weidener Frauenhaus gelebt. Inzwischen hat sie eine eigene Wohnung – ein eigenes Leben. Die junge Frau erzählt von stressigen Arbeitstagen im gemeinsamen
Familienbetrieb und vom Frust, den ihr Partner schließlich an ihr ausgelas-sen hat. Schläge, Beleidigungen, Affären. Sie hatte große Angst. „Auf einmal standen Morddrohungen im Raum, es war wie im Actionfilm. Rückblickend kann ich sagen, dass das alles wie eine Luftblase war. Es war nichts dahin-ter.“ Ein wenig verlegen schiebt sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Inzwischen hat Anna wieder Kontakt zu ihrem damaligen Partner. „Damals
war ich abhängig von ihm. Er hatte das Geld, er hatte das Auto, er hatte die Macht. Wenn wir uns heute treffen und mir etwas nicht passt, steige ich in mein eigenes Auto und fahre.“ Sie wirkt selbstbewusst und souverän.

Wie im Paradies
Der Tag, an dem sie sich entschied, ins Frauenhaus zu gehen, habe ganz
gut angefangen, sagt Anna. Aber dann kam es zu einem großen Streit, der Mann wurde handgreiflich. Sie war vorbereitet, hatte die Entscheidung, einen endgültigen Schnitt zu machen monatelang mit sich herumgetragen. Sie hatte auf den einen Moment gewartet – nun war er gekommen. Zeit, die gebunkerte Reisetasche abzuholen. In dem Frauenhaus in ihrer Heimat-stadt aber fühlte sie sich „wie im Gefängnis“– wegen der räumlichen Nähe zum Täter. „Schon am dritten Tag wusste ich, ich kann hier nicht bleiben.“ Also kam sie nach Weiden. „Ich hatte sämtliche Handykarten zerschnitten, alle Social-Media-Kanäle blockiert. Nur für meine Eltern war ich noch erreichbar.“ Ein großer Schnitt, ein schwieriger Schritt. „Und dann war ich in Weiden: Mir erschien das Frauenhaus wie ein Paradies. Auch, weil ich gemerkt habe, dass ich nicht die Einzige bin, der so etwas passiert ist.“ Das Paradies: Drei Stockwerke mit Zimmern, Gemeinschaftsküchen und Gemeinschaftstoiletten. Platz für sieben Frauen mit ihren Kindern. Jede Frau kann so lange bleiben, wie sie braucht. Um eine Wohnung, einen Job, Kindergarten oder Hortplätze zu bekommen. Jede ist hier für ihren eigenen kleinen Haushalt zuständig. Stockbetten, Schrank, Tisch. Wohnen wie im Schullandheim. In den Regalen stehen Ordner neben Gesellschaftsspielen und Kuscheltieren. Alles wirkt fröhlich und bunt. Die Wände, die Bettwä-sche, die Bilder. Hier ist ein Vögelchen an die Wand gezeichnet, dort ein Kätzchen. Auf dem Balkontisch liegt das „Dschungelbuch“ und die „Geschichte von der Ponyfee“. Daneben stehen etliche Wäscheständer. Am
Fensterbrett liegen bemalte Steine, blickt man nach unten, sieht man im Garten Rutsche und Schaukel. Das Gartentor ist geschlossen. Ohne einen Schlüssel kommt niemand hier weder rein noch raus. Auch die Mauer ist hoch, die Fenster im ersten Stock mit Milchglasfolie verklebt. Das bietet ein Stück Anonymität und Sicherheit. Denn deshalb sind die Frauen hier: Sie suchen Schutz. Einfach, unkompliziert, anonym.

Neues Zuhause: Weiden
Das Weidener Frauenhaus ist zuständig für die Kreise Tirschenreuth und Neustadt sowie die Stadt Weiden. Die sieben Plätze, die es gibt, errechnen sich aus der Bevölkerungszahl. Trotzdem suchen nicht nur Oberpfälzerin-nen hier Schutz, meist sind Frauen aus ganz Deutschland da. Zum Beispiel Dalal. Die 39-Jährige kam mit ihren vier Kindern aus einer sächsischen Stadt nach Weiden. Sie floh regelrecht – vor ihrem Ex-Mann. Der hatte sie und ihre älteste Tochter geschlagen, angeschrien, gedemütigt, bedroht – immer und immer wieder. Und die Nachbarin rief immer wieder die
Polizei. Die Beamten nahmen Dalals damaligen Lebensgefährten beim x-ten Mal mit auf die Wache – und sie ging. Erst in ein Frauenhaus in ihrer Stadt. Weil sie dort aber vor ihm nicht sicher war, kam sie nach Weiden. „Es ist gar nicht so selten, dass Frauen dann in Weiden bleiben und die Stadt ihr neues Zuhause wird“, sagt Frauenhaus-Leiterin Enikö Nagy. Oder „Frau Enikö“, wie Dalal sie nennt. Die 39-jährige Dalal erzählt, ihre Kinder haben
nun neue Freunde in Weiden gefunden. Wenn sie von ihrem neuen Leben spricht, strahlt sie. Sie ist erleichtert – und dankbar. Dankbar, jetzt endlich sicher zu sein. Dankbar, unterstützt zu werden. Bei Behördengängen, bei Wohnungsbesichtigungen. „Es ist toll hier“, sagt sie. Sie wohnt mit ihren vier Kindern in einem 20-Quadratmeter- Zimmer. Luxus sieht anders aus.
Aber es geht nicht um Luxus. Es geht um Leben, um Sicherheit, um Freiheit, um Selbstbestimmtheit.

„Wer zu uns kommt, hat den schwersten Schritt schon hinter sich“, sagt Tina Braun. Die Kinder und Jugendbeauftragte arbeitet schon so lange für das Frauenhaus, dass sie es noch als Baustelle kennt. Vor 25 Jahren kümmerte sie sich auch um die Erstausstattung. „Irgendwie ist es auch mein Haus“, sagt die 57-Jährige. Sie spricht von der großen Scham, die viele Frauen erst überwinden müssen, bevor sie den Mut haben, sich in ein Frauenhaus zu flüchten. „Es ist ein Phänomen, dass sich die Opfer häuslicher Gewalt schuldig fühlen, als hätten sie persönlich versagt.“ Aber der Einzug sei für viele auch ein sozialer Abstieg in Gedanken, ergänzt
Nagy: Zuhause verloren, Ehe zerbrochen, Hartz-IV-Antrag. Sieben Jahre
halte es eine Frau im Schnitt in einer gewälttätigen Beziehung aus. „Ins Frauenhaus geht man ja wirklich nur, wenn man keine andere Lösung mehr sieht.“

Gewalt ist nicht gleich Gewalt
Dabei ist jede vierte Frau zwischen 16 und 82 in Deutschland mindestens
einmal in ihrem Leben von häuslicher Gewalt betroffen. Gewalt, die im Geheimen geschieht. Gewalt, die von der Gesellschaft gedeckt wird. Männer und Frauen jeden Alters und jeder sozialen Schicht sind davon betroffen. Und Gewalt ist nicht gleich Gewalt. „Eigentlich ist er doch ein guter Mann,
er schlägt mich ja gar nicht.“ Diesen Satz hören Enikö Nagy und ihre drei Kolleginnen öfter, als ihnen lieb ist. Häusliche Gewalt, erklärt Nagy, ist nicht nur physische Gewalt – auch vor sozialer, wirtschaftlicher oder psychischer Gewalt suchen Frauen Schutz. „Manchmal erzählen uns Betroffene ihre Geschichte und sind sich überhaupt nicht sicher, ob sie bei uns richtig sind.“ Man hört Nagy an, dass sie es eigentlich selbst kaum glauben kann. Anna hat die psychische Gewalt schlimmer verletzt als die Schläge. Sie erinnert sich: „Hier und da ein blauer Fleck, der geht ja wieder weg. Aber die ständigen Beleidigungen … irgendwann habe ich mich schon gefragt, ob es vielleicht stimmt, was er sagt.“ Auch deshalb, fordert Nagy, bräuchten die Frauenhäuser mehr Geld für psychologische Betreuung der Opfer. Die Täter
seien oft besser betreut als die Opfer. „Da muss man sich nur die Program-me der JVA ansehen.“ Gesprächskreise, Anti-Aggressions-Trainings, Selbst-reflektionsübungen. Für die Gewaltopfer ist nichts davon vorgesehen.

Politik statt Mitleid
Für das Frauenhaus fordert Nagy auch einen „vernünftigen Personal-schlüssel“. Konkret: Eine Vollzeit- Stelle mehr für Weiden. Ihre Vision:
Vernetzte, familienorientierte Zusammenarbeit zwischen Frauenhaus,
Täterberatung und Familienrichtern nach dem Vorbild des Münchener Modells. Denn gerade sei der Gesamtzustand unhaltbar. „Die Frauen, die zu uns kommen, sind keine Einzelfälle. Und wenn man einen Blick auf die Kosten häuslicher Gewalt wirft, ein zweifelhafter Luxus, den sich die Gesellschaft leistet.“ Gerade flächendeckende Prävention sei wichtig – auf
allen sozialen Ebenen. Denn: „Ein Aufenthalt im Frauenhaus schützt nicht vor Gewalt“, sagt Tina Braun. „Zu uns kommt teilweise schon die zweite Generation. Die Töchter ehemaliger Bewohnerinnen als Opfer, ihre Söhne als Täter.“

Manche Geschichten ließen sie nicht los, sagt Braun. „Ich habe schon ein dickes Fell – aber einiges geht wirklich unter die Haut. “Wenn sie und ihre Kolleginnen über ihre Arbeit reden, fragt man sich schnell, wieso sie nicht längst vor Wut rasen. Sie heilen Wunden, die erst gar nicht entstehen müssten. Wenn sich die politischen Rahmenbedingungen ändern würden. „Wir leben in einer Männerwelt, bei der wir nur mitmachen dürfen.“ Da müsse man sich nicht wundern, so Nagy, dass man nicht nur eine Schraube nachstellen müsse, um die Situation nachhaltig zu verändern

„Frauenhäuser gibt es nun seit gut 30 Jahren“, sagt Nagy. „Aber auch die Männerwelt muss sich mit entwickeln. Frauen brauchen kein Mitleid, sondern Mitgefühl und gesellschaftliche wie politische Veränderung.“
Deshalb sieht sie Täterarbeit und Prävention als Notwendigkeit. Geld für mehr Personal ist aber Mangelware. Deutschlandweit fehlen mehr als 14 600 Schutzplätze für Frauen. „In diesem Jahr mussten wir in Weiden bisher 26 Frauen absagen oder sie an andere Häuser weitervermitteln, weil wir einfach keinen Platz hatten. Und gerade in der vergangenen Woche haben in unserem Haus 16 Kinder gewohnt – das ist mehr als so manche Kinder-gartengruppe – und das ja nur zusätzlich zu den Frauen.“ Tatsächlich wenden sich eher Frauen mittleren Alters mit Kindern an die Sozialpäda-goginnen. Das könnte daran liegen, dass junge Frauen ohne Kinder eher Zuflucht bei einer Freundin finden können. Enikö Nagy mutmaßt aber
auch: „Der Ruf von Frauenhäusern auf dem Land ist möglicherweise eher altbacken. Eine hippe Beratungsstelle in Berlin zieht wohl mehr junge Frauen an.“ Braun spricht auch von einem Stadt-Land- Unterschied: „Grundsätzlich kommen mehr Frauen aus Städten zu uns.“ Das liege auch am sozialen Druck auf dem Land. Verschwinde hier eine Frau mit ihren Kindern über Nacht, falle das eher auf als in einer anonymen Miets-wohnung in der Stadt.

Corona: Keine Zeit, um zu gehen
Mit Corona-Maßnahmen und Ausgangsbeschränkungen habe sich
zwar die Zahl der Polizeieinsätze wegen häuslicher Gewalt in China
und Frankreich verdreifacht – doch der erwartete Ansturm auf das
Frauenhaus in Weiden blieb aus, so Nagy. „Die Zeit der Ausgangsbe-schränkungen war keine Zeit, in der man seinen Partner verlassen hat. Viele Frauen wussten auch gar nicht, dass die Beratungsstellen noch geöffnet sind.“ Es habe sogar zwei, drei Fälle gegeben, in denen das Virus eine Aufnahme ins Haus verhindert habe.„Weil sie das Risiko einer Quarantäne im Haus als zu hoch empfand, hat sich eine Frau gegen eine Aufnahme entschieden und kamprivat unter“, erinnert sich Nagy. Sie hätte dann keinen persönlichen Kontakt zu ihren Söhnen haben können, die nicht mit ihr eingezogen wären. Was sie dafür in Kauf nahm: Zerstochene Fahrradreifen, ein verklebter Postkasten und diverse Beschimpfungen. „Frauen lassen eine Menge mit sich machen, wenn sie glauben, dass sie
damit die Familie schützen“, erklärt Braun. Und Kollegin Nagy ergänzt:
„Jede Krise belastet Frauen unverhältnismäßig mehr als Männer.“

15 Ehrenamtliche sorgen dafür, dass das Frauenhaus rund um die Uhr erreichbar ist. Sie übernehmen Telefondienste, helfen bei Hausaufgaben
oder Umzug, begleiten bei Wohnungsbesichtigungen, vermitteln Spenden.
„Ihr Mann wollte sie umbringen“ Elisa Wiesnet ist mit ihren 24 Jahren eine der jüngsten ehrenamtlichen Frauenhaus-Helferinnen, seit Februar über-nimmt sie Dienste. Ihr tut die Arbeit gut, sagt sie. „Das holt mich immer wieder auf den Boden zurück. Außerdem sollten Frauen zusammenhalten. Jeder in einer solchen Notsituation wäre froh, wenn jemand ans Telefon geht und hilft.“ Vor ein paar Nächten organisierte sie die Aufnahme einer Frau mit fünf Kindern. „Ihr Mann wollte sie umbringen. Das nimmt einen
schon mit.“ Manchmal träumt sie nachts von den Dingen, die Frauen ihr erzählt haben. „Und oft denke ich mir: Ich komme schon schwer damit klar, dass diese Frauen solche Dinge erleben müssen. Wie wird es dann den Frauen selbst erst gehen…“ Auch Waltraud Koller-Girke ist manchmal wütend. Für die Ehrenamtliche ist die Wut aber auch ein Antrieb, immer weiter zu machen. Die 72-Jährige hilft schon so lange mit, dass sie die jetzige Frauenhaus-Leiterin noch als Praktikantin erlebt hat. Sie erzählt von Piepsern, die sie vor Beginn des Handy-Zeitalters zu Beginn einer Rufdienst-
Schicht aus dem Büro holen muss. Heute wird einfach das Telefon auf das eigene Handy umgestellt. Sie erinnert sich an ihren ersten Einsatz vor 24 Jahren: „Ich war sehr aufgeregt, ob jemand anrufen würde.“ Schließlich habe keine Frau angerufen, sondern das Frauenhaus Nürnberg, die eine Unterkunft für eine Frau mit drei Kindern gesucht hatte. „Ich habe die vier dann mit dem Kleinbus abgeholt. Die Frau hatte sehr viel Angst vor ihrem gewalttätigen Mann und davor, dass er sie entdeckt. Als sie bei uns im Zimmer auf dem Bett saß, spürte ich, wie sie aufgeatmet hat. Sie war einfach nur erleichtert.“ Anna kann sich auch an diesen einen Moment erinnern, in der ihr die Last wie Steine von den Schultern fiel. Das Gefühl von Ruhe, Stille und Sicherheit hat sich ihr eingeprägt. Sie war angekom-men. Endlich wieder Luft zum Atmen. Nun konnte ihr neues Leben beginnen.

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„Neidaffer“ platteln auf Seniorenheim-Terrasse

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Jul 142020
 
Einer wie Andreas Gabalier – oder auch seine Kopie – kommt immer an. Bild: Kunz

Weiden. (uz) „Hulapalu“ sprang ein Andreas-Gabalier-Verschnitt mit dem für den Österreichischen Alpen-Rock ’n‘ Roller typischen Geweih-Mikrophon über die Terrasse. Die Vorfreude war riesig. Schon die ganze Woche lang fieberten die Heimbewohner im St.-Michael-Zentrum der Diakonie dem Auftritt des „Neidaffer Plattlclubs“ entgegen.

Monatelang durften sie wegen Corona keine Besucher empfangen. Da tat dieses Gastspiel gut. Das Wetter war ideal. Neben Gabalier machten die Trachtenburschen auch auf Hubert von Goisern und sein „Brenna tuats guat“.

Wie Pflegedienstleiterin Sonja Rummler betonte, waren die Schuhplattler „Für ein Lächeln“ zur Benefizveranstaltung nach Weiden gekommen, um hier im Seniorenheim kostenlos vor den Bewohnern aufzutreten. Anstatt Honorar gab’s eine Brotzeit für die jungen Männer Ein Vergelt’s Gott an die plattelnden Jungs kam auch von Hans Joachim Grajer.

Quelle: Der neue Tag – Ausgabe vom 14.07.2020

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70 Jahre Müttergenesungswerk: Beratungsstellen für überlastete Eltern in Weiden

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Mai 042020
 

Finanzieller Druck, schwieriges Zeitmanagement, Patchwork-Familien, Trennungen, Doppel- oder Dreifachbelastung durch Beruf, Erziehung und Pflege, Zwillings- und Mehrlingsgeburten, Entwicklungsstörungen beim Kind, Erkrankung oder Behinderung, Sorgerechtsstreitigkeiten und viele weitere Faktoren können Mütter und Väter an ihre Leistungsgrenzen bringen. Wer über eine Kur des Müttergenesungswerks (MGW) nachdenkt, die sich speziell an Elternteile richtet und bei der die Kinder dabei sein können, kann sich bei der Diakonie Weiden und dem Caritasverband für Weiden und den Landkreis Neustadt beraten lassen. Dagmar Deutschländer (Diakonie) und Elisabeth Hirn (Caritas) helfen bei der ersten Einschätzung, ob eine Maßnahme des MGW angebracht ist, beim Ausfüllen des Antrags und geben bürokratische Unterstützung im Falle einer Ablehnung.

Besonders Mütter angesprochen

Beide Beraterinnen weisen auf die rechtliche Verankerung der Kuren hin. Sie gehören zu den Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Belastete Mütter und Väter haben also ein Recht auf Vorsorgemaßnahmen mit oder ohne Kinder in den 74 MGW-Kliniken. „Es gilt nicht: ambulant vor stationär. Es ist nicht nötig, erst alle ambulanten Maßnahmen auszuschöpfen. Eine ganzheitliche, interdisziplinäre Kur kann man nicht ersetzen durch ambulante Maßnahmen“, erklärt Dagmar Deutschländer. Voraussetzung für die Genehmigung einer Kur ist allerdings eine durch einen Arzt attestierte medizinische Indikation.

Diese sei vor allem bei Frauen häufig gegeben. Überlastete Mütter sollten sich laut Dagmar Deutschländer häufiger bewusst machen: „Ich habe auch mal ein Recht auf drei Wochen ohne Kids.“ Die Hilfestellung sei da. Es gehe darum, sich zu trauen, das Angebot anzunehmen. „Die Frauen sind heute älter als früher, wenn sie Kinder kriegen. Dadurch haben sie häufig gleichzeitig pflegebedürftige Eltern und dadurch eine Doppelbelastung“, weiß sie aus zahlreichen Gesprächen.

„Es ist oft der Wahnsinn. Die Frauen haben keine Kapazitäten, durchzuschnaufen. Der Tag beginnt um 5.30 Uhr und endet um 22.30 Uhr mit dem Zusammenlegen der Bügelwäsche.“ Die Erschöpfung zeige sich erst nach einer langen Belastungsphase, ergänzt ihre Kollegin von der Caritas. „Den Kindern geht es nur so gut, wie es der Familie und besonders der Mutter geht.“ Außerdem gehen Frauen laut Dagmar Deutschländer zu selten wegen sich selbst zum Arzt, nach dem Motto: „Die Bandscheibe hat ja schon immer wehgetan.“

Recht auf Widerspruch

Die beiden Frauen wissen aus Erfahrung, dass die Krankenkassen die beantragten Kuren relativ oft ablehnen. „Das ist oft wie eine Ohrfeige für die Frauen“, sagt Elisabeth Hirn. „Die Krankenkassen sollten der ärztlichen Verordnung einer Kur auch Rechnung tragen.“ Es sei meist ein langer Weg, sich die Erschöpfung einzugestehen, ergänzt Dagmar Deutschländer. Eine Ablehnung wirke, „als wäre man zu hysterisch“. Auf den Widerspruch haben Antragsteller ein Recht. Hirn und Deutschländer unterstützen dabei.

Im Vergleich zu anderen Kuren sehen die Beraterinnen bei den Maßnahmen des Müttergenesungswerks einige Vorteile. „Es gibt einen großen Zusammenhalt bei den Frauen in den MGW-Kurhäusern, weil sie über die ganze Aufenthaltsdauer zusammen sind“, erklärt Dagmar Deutschländer als Beispiel. Denn die dreiwöchigen Kuren starten zu festgelegten Terminen.

Der intensive Austausch untereinander führe zu mehr Wissen bei den Müttern über Hilfsangebote nach der Kur. „Die Mütter kommen gestärkt und mit guten Vorsätzen wieder“, meint sie. „Viele Frauen lernen durch die Kur, besser auf sich zu achten.“ Außerdem könne eine Kur die Mutter-Kind-Beziehung stabilisieren. Und wenn eine Mutter alleine zur Kur geht, könnt dies das Familiensystem positiv verändern, „weil man zu Hause merkt, wie es ohne die Mutter läuft“.

Ergebnisoffene Beratung

Die Empfehlungen der beiden Fachfrauen sind nicht an das Müttergenesungswerk gebunden. „Wir erklären, was eine mögliche Kur ist und was nicht“, so Deutschländer. In einigen Fällen raten die Fachfrauen von einer Kur ab oder empfehlen andere Maßnahmen. „Man muss als Voraussetzung kurbedürftig und kurfähig sein.“

INFO:

Beratung während der Coronakrise

Die Coronakrise wirkt sich auf die Arbeit von Caritas und Diakonie aus. Die Beraterinnen helfen telefonisch. Trotzdem: „Momentan ist die Kurenvermittlung schwierig“, sagt Dagmar Deutschländer. Das liege vor allem an den Kurhäusern, die entweder Vorhaltestationen für Coronapatienten oder ganz geschlossen seien.

Auch bereits geplante Kuren können derzeit nicht angetreten werden. „Alles wird verschoben“, betont Deutschländer. Ärgerlich: Viele sogenannte Schwerpunktkuren finden nur einmal im Jahr statt. „Die Frauen müssen wieder warten.“ Krankenkassen genehmigten derzeit eine Verschiebung der Kur ohne neues Attest oder Antrag. „Das läuft wirklich unkompliziert“, sagt die Fachfrau.

Deutschländer erwartet in Folge der Corona-Pandemie einen „Kuren-Boom“. Homeoffice, Unterricht daheim, Sorgen um die Eltern: „Das zehrt an den Familien. Und sind wir uns mal ehrlich: Das bleibt meistens an den Frauen hängen.“ (tsa)

MÜTTERGENESUNGSWERK UND KONTAKT VOR ORT:

Bei der Gründung des Müttergenesungswerks (MGW) 1950 standen die Belastungen durch Kriegsfolgen im Fokus. Gründerin Elly Heuss-Knapp erreichte die gesetzliche Verankerung der Mütterkuren. Später kamen Angebote für Mütter mit Kindern hinzu. Heute gibt es außerdem Kuren für Väter, Väter und Kinder sowie pflegende Angehörige. In Deutschland gibt es 74 Kliniken unter dem Dach des MGW.

Über 1000 Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände unterstützen Interessierte in Vorgesprächen, bei Widersprüchen und in der Nachsorge.

Ansprechpartnerinnen in Weiden:

  • Caritasverband Weiden und Landkreis Neustadt/WN: Elisabeth Hirn, Telefon: 0961/3891-40, E-Mail: e.hirn@caritas-weiden.de. Die Geschäftsstelle zieht Anfang März von der Nikolaistraße 6 in die Bismarckstraße 21 um. Während des Umzugs kann es Probleme bei der Erreichbarkeit geben.
  • Diakonie Weiden: Dagmar Deutschländer, Sebastianstraße 18, Telefon: 0961/38931-16 (Anrufbeantworter nutzen), E-Mail: dagmar.deutschlaender@diakonie-weiden.de.
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Frauenhaus: Schutz in der Krise

 Allgemein, Blogroll, Frauenhaus  Kommentare deaktiviert für Frauenhaus: Schutz in der Krise
Apr 132020
 

In Zeiten von Corona erhält das Thema Partnerschaftsgewalt in den Medien neue Beachtung. Doch Häusliche Gewalt gehört schon seit langem zum Alltag in Deutschland. Und auch in der Oberpfalz.

Wie bei allen Frauenhäusern ist auch der Standort des Frauenhauses in Weiden streng vertraulich. „Das gibt ein Stück Sicherheit für die Frauen, die bei uns Zuflucht finden“, sagt Enikö Nagy, 41, Sozialpädagogin und seit 2019 Leiterin des Frauenhauses in der Max-Reger-Stadt. Und eben diese Sicherheit ist von hoher Wichtigkeit.

Sieben Frauen und bis zu zehn Kinder können im Weidener Frauenhaus aufgenommen werden. In der Gemeinschaftswohneinrichtung hat jede Frau zusammen mit ihren Kindern ein eigenes Zimmer. Pro Etage gibt es zur gemeinsamen Nutzung eine Küche und ein Bad. Den Alltag organisiert jede Frau selbst. „Die Frauen, die zu uns kommen, suchen Schutz und Hilfe“, sagt Enikö Nagy. Sie sind Opfer von häuslicher Gewalt.

Experten befürchten, dass die Coronakrise eine starke Zunahme der Gewalt in Beziehungen auslöst. Auch Kinderschutzbund und Frauennotruf schlagen Alarm. Dass die Befürchtung nicht unbegründet ist, wird am Beispiel China deutlich: Während der Krise verdreifachten sich die Fälle häuslicher Gewalt. In Frankreich verzeichnete die Polizei innerhalb acht Tagen Ausgangssperre einen Anstieg von 32 Prozent bei ihren Einsätzen im Bereich häuslicher Gewalt. Auch in Weiden stellt man sich auf eine deutliche Zunahme ein. Bei nur sieben Plätzen für Frauen ist die Kapazität allerdings schnell erschöpft. Es gibt 350 Frauenhäuser in Deutschland, doch unabhängig von der derzeitigen Situation fehlen hier 14 600 Schutzplätze. In Weiden denkt man über Ausweichkapazitäten nach. „Falls unser Haus komplett besetzt ist, weisen wir die Frauen keinesfalls ab, sondern vermitteln sie – so schnell es geht – in eine andere Einrichtung“, sagt Enikö Nagy.

Bett, Bad und Gespräche

Die telefonische Kontaktaufnahme mit dem Frauenhaus in einer Notsituation ist denkbar einfach, und wird auch während der Krise aufrechterhalten. „Die Frauen können bei uns anrufen und sich beraten lassen. Das geht, auch ohne den eigenen Namen zu nennen“, sagt Nagy und erklärt, dass Anonymität oft eine Hemmschwelle beseitige. Möglich seien natürlich auch eine persönliche Beratung und gegebenenfalls die anschließende Unterbringung im Frauenhaus.

Alleine mit der Unterbringung im Frauenhaus sind die Probleme zwar nicht gelöst, aber es ist ein Anfang gemacht. Zusammen mit drei Kolleginnen und einer Praktikantin leistet Enikö Nagy vielfältige Hilfe. Außer „Bett, Bad und Hilfe beim Ausfüllen von Formularen“, wie auf der Internetseite des Frauenhauses zu lesen ist, gibt es auch die Möglichkeit zu Gesprächen. Diese ermöglichen es den betroffenen und oft traumatisierten Frauen, das Erlebte aufzuarbeiten. Und noch viel wichtiger: Im Frauenhaus werden ihnen Alternativen aufgezeigt. Denn Alternativen gebe es immer. „Die Frauen werden gestärkt, wir zeigen ihnen, dass ein besseres Leben möglich ist, dass es Hoffnung gibt, dass es Lösungen gibt“.

Entscheiden muss jede Frau selbst

Bereits dieser Ansatz würde den Frauen Mut machen, denn in vielen Fällen hätten die Frauen in der bestehenden Beziehung zum Partner ihren Selbstwert und die Selbstachtung verloren. Enikö Nagy bekräftigt: „Wir geben ihnen die Möglichkeit für einen Neuanfang und auch für den Neuaufbau ihres Selbstwertgefühls.“ Nagy betont aber gleichzeitig: „Wir beraten die Frauen mit dem Ziel, zu einer tragfähigen Entscheidung zu kommen. Sei es die Entscheidung, in der Beziehung zu bleiben mit unterstützenden Angeboten, oder der Entschluss, einen Neuanfang auf eigenen Beinen zu wagen. Die Entscheidung muss jede Frau selbst treffen.“

Derzeit rückt die Coronakrise das Thema häusliche Gewalt ins Rampenlicht der Gesellschaft. Der Aufschrei ist groß. Die Leiterin des Frauenhauses Weiden registriert das mit einem Kopfschütteln. Denn: „Häusliche Gewalt ist immer da. Sie war auch schon da vor Corona.“ Durch die Pandemie sei sie nur verstärkt von den Medien aufgegriffen worden. Und, so befürchtet die Sozialpädagogin, das Interesse an der Thematik könnte mit dem Verschwinden des Coronavirus auch ganz schnell wieder versiegen. Leider sind diese Befürchtungen von Nagy und ihrem Frauenhaus-Team nicht ganz unbegründet.

INFO:

Hilfetelefone

An wen kann ich mich wenden?

  • Frauenhaus Weiden, Telefon: 09 61 / 389 31-70
  • Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, Telefon: 0 80 00-11 60 16 (kostenfrei) oder im Internet: www.hilfetelefon.de
  • Dornrose e.V., Telefon: 09 61 / 330 99 (Fach- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt und Frauennotruf)
  • Opfertelefon Weißer Ring, Telefon: 116 006 oder im Internet www.weisser-ring.de

INFO:

Ausgangsbeschränkung gilt nicht für das Aufsuchen eines Frauenhauses

Darf ich trotz Ausgangsbeschränkung ins Frauenhaus? Das Aufsuchen eines Frauenhauses gilt als triftiger Grund, das Haus zu verlassen, wie das Staatsministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend informiert. Auch das Aufsuchen „einer Fachberatungsstelle/eines Notrufs für von sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt betroffene Frauen und von sexualisierter Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche in Bayern“ gilt demnach als triftiger Grund.

https://www.onetz.de/deutschland-welt/weiden-oberpfalz/frauenhaus-schutz-krise-id3008470.html

 Posted by at 16:14