Jahrelang beherrschte Gewalt Helmuts Leben, bis er Hilfe bei einem Oberpfälzer Täterberater suchte – und fand. Der Familienvater erzählt, wie Veränderung und eine Abkehr von der Aggression gelingen kann. von Maria Oberleitner
Als Helmut seine Frau im Streit an den Haaren zog, war klar: So kann es nicht weitergehen. Die jahrelange Aggression, die Gewalt, die Angst und das Geschrei – das wollen beide nicht mehr. Die häusliche Gewalt, sie muss aufhören. Fast ein Jahr ist dieser Streit nun her. Und fast ein Jahr ist es nun her, dass Helmut, 36 Jahre alt und zweifacher Familienvater, einen neuen Weg beschritten hat – einen Weg ohne Gewalt.
Unterstützung fand er bei Jürgen Huhn, dem Oberpfälzer Täterberater bei der Diakonie. Der ist zuständig für die ganze Nordoberpfalz zwischen Amberg und Schwandorf, Weiden und Tirschenreuth und lehrt Männern, gewaltfrei zu leben und zu kommunizieren. Heute sagt Helmut: „Ich fühle mich viel freier, gelöster.“ Er habe gelernt, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. In schwierigen Situationen fühle er sich nicht mehr so ausgeliefert, könne gelassener reagieren. Friedlicher sei sein Leben geworden, sagt Helmut, vor allem das Familienleben.
„Bei Meinungsverschiedenheiten mit meiner Frau war ich oft hilflos und fühlte mich ohnmächtig. Ich habe mich in solchen Situationen provoziert gefühlt. Was mich wirklich im Einzelnen verletzt hat, habe ich erst viel später gemerkt“, sagt der 36-Jährige. Helmuts Geschichte steht dabei symbolisch für viele andere Geschichten, erklärt Täterberater Huhn: „Es geht oft um Ohnmacht, um Selbstwert, das eigene Rollenverständnis und gelernte Verhaltensweisen.“ Huhn sieht dann genau hin, analysiert mit dem Täter zusammen: Wieso werde ich aggressiv? Was verletzt mich? Und der Experte zeigt Alternativen auf: Die Situation verlassen. Durchatmen. Einen Raum schaffen zwischen Reiz und Reaktion. Oder, wie Helmut sagt: „Weg von der Gewalt – und später hin zur Diskussion.“
Keine Bestrafung – sondern die Suche nach Lösungen
Jürgen Huhn ist Sozialarbeiter und -pädagoge, im April vergangenen Jahres hat er die Leitung der Nordoberpfälzer Täterberatung übernommen. Zu ihm kommen Familienväter, Partner. Männer aus jeder Gesellschaftsschicht, mit abgeschlossenem Studium oder aus dem Arbeitermilieu. „Klischees treffen da nicht zu“, sagt Huhn. „Das ist ein Problem, das alle betreffen kann.“ Seine Vision für die Zukunft? „Dass ich mich überflüssig mache.“ Er lacht. Bis dahin aber sei er froh über jeden, der den Schritt zur Beratung wage: Das Bewusstsein dafür, das sich etwas ändern müsse, das sei viel wert. Denn: „Täterarbeit ist immer Opferschutz“, sagt Huhn. Er wünsche sich, dass die Gesellschaft häusliche Gewalt nicht mehr als Kavaliersdelikt, als Bagatelle wahrnimmt. „Sondern als das, was es ist: Ein großes Problem.“ Bei der Beratung geht es Huhn aber nicht um Bestrafung – sondern um Lösungen. „Es wird nichts beschönigt, aber ich wurde auch nicht verurteilt“, erinnert sich Helmut. Die Barrieren seien dann schnell gefallen, trotz des großen Schamgefühls.
Auch die Beziehung zu seiner Frau sei jetzt wieder sehr gut, sagt er. „Wenn wir streiten, dann kann es schon mal noch erregter werden. Aber wir finden dann einen gemeinsamen Weg.“ Und das, obwohl er ihr Vertrauen immer wieder zerstört habe, erinnert sich Helmut. „Meine Frau hatte Angst vor mir, das war mir klar. Und habe oft versprochen: Das passiert nicht mehr.“ Und sich dann trotzdem nicht um Hilfe von außen gekümmert. „Erst als sie mit Trennung gedroht hat – völlig zu Recht – habe ich reagiert.“ Zuerst habe er sich selbst anzeigen wollen, habe einen Freund um Hilfe gefragt und kam durch dessen Empfehlung schließlich an Huhn.
Ein neuer Weg, ohne Gewalt
Sein alter Weg, sagt Helmut, war: Gewalt. „Der Weg war über die Jahre sehr ausgetreten und tief, da kommt man nicht so schnell raus.“ Einen neuen Weg, den gab es noch nicht, den habe er erst anlegen müssen, eine Abzweigung nehmen. „Das war ungewohnt, braucht Zeit und Geduld und klappt nicht gleich beim ersten Mal.“
Dieser neue Weg, für Helmut begann er auch mit einem Thriller von Sebastian Fitzek. Helmut warf einen Blick ins Vorwort von „Der Heimweg“ – und ihm wurde klar: „Ich bin auch dafür verantwortlich, wie die Zukunft meiner Kinder aussieht. Da gibt es keine Ausreden.“ Im Vorwort legt der Autor dar, was es für Kinder bedeutet, wenn der Vater Gewalt gegen die Mutter ausübt – nämlich eine Verdreifachung der Wahrscheinlichkeit, selbst im späteren Leben häusliche Gewalt zu erleben oder zu erdulden. „Es ist wie ein Automatismus, der sich über Generationen weiterträgt“, sagt Helmut. Da habe er verstanden: Verharmlosen und Schönreden hilft nichts. Nur, wer sich der Realität stelle, sich ein Problem eingestehe, könne beginnen sich zu ändern. Und die Dinge zum Besseren wenden.
Quelle: Der neue Tag