11.06.2023 – 12:55 Uhr
Einen Wohnzimmertisch für 35 Euro? Ein komplettes Schlafzimmer für knapp 100 Euro? All das gibt es im Werkhof in Marktredwitz. Der gemeinnützige Laden gibt nicht nur Kunden, sondern vor allem den Mitarbeitern neue Perspektiven im Leben.
von Autor FPH
Von Matthias Bäumler
Iris Hock könnte auch Trübsal blasen. Die Marktredwitzerin, die demnächst 60 Jahre alt wird, hat sich für einen anderen Weg entschieden: Sie arbeitet lieber einige Stunden in der Woche ehrenamtlich im Werkhof in Marktredwitz. An diesem Vormittag sitzt sie an der Kasse und berät immer wieder Kunden. So etwa eine junge Familie, die das Kinderzimmer ihrer mittlerweile jugendlichen Tochter neu einrichten will. Für Iris Hock, für die Familie, für viele Menschen in der Region ist der Werkhof in Marktredwitz ein Segen.
Seit einem Jahr gibt es das gemeinnützige Sozialkaufhaus der Diakonie Weiden in Marktredwitz. Es ist das jüngste in der Region. Der ursprünglich aus Brand bei Marktredwitz stammende Geschäftsführer Markus Friedrich hat diese Art der Läden vor Jahren in der nördlichen Oberpfalz etabliert. 1993 eröffnete er das erste Kaufhaus in Vohenstrauß im Oberpfälzer Wald.
Auch Dekoartikel
Nach Vohenstrauß, Weiden, Tirschenreuth und Cham entschloss sich die Diakonie vergangenes Jahr, in Marktredwitz ein Sozialkaufhaus zu eröffnen. In Wirtschaftskreisen würden sie es eine Triple-Win-Situation nennen. Wie Markus Friedrich sagt, schafft der etwas andere Laden einen festen Arbeitsplatz und mehrere jeweils befristete Arbeitsgelegenheiten, bietet weniger betuchten Kunden ein mittlerweile beinahe gigantisches Angebot an Möbeln, Dekoartikeln und Porzellan und hilft letztlich, Müll zu vermeiden.
Michael Tschirn ist Anleiter am Standort Marktredwitz. Der gelernte Schreiner hat in den Räumen in der Fikentscherstraße 12 seine Berufung gefunden. Er ist so etwas wie das Mädchen für alles, stellt die Abhol- und Liefertouren zusammen, verteilt die Arbeit, bewertet die Möbel und die gelegentlich ebenfalls eintreffenden Antiquitäten – und hält den Laden am Laufen. „Ganz ehrlich, die Qualität der uns angebotenen Möbel ist in aller Regel sehr gut.“
Kleinbus täglich im Einsatz
Derzeit bilden elf Frauen und Männer das Team des Marktredwitzer Werkhofs. „Wir haben gut zu tun. Derzeit haben wir eine Vorlaufzeit von fünf Wochen“, sagt Michael Tschirn. Wer heute zum Beispiel eine Küche zum Abholen anbietet, zu dem kommen die Werkhof-Mitarbeiter erst in gut einem Monat. Der Kleinbus, in dem sie Möbel transportieren, ist täglich im Einsatz.
Die gute Auswahl im Sozialkaufhaus hat sich offenbar weithin herumgesprochen. Sogar an Werktagvormittagen schlendern immer wieder Kunden durch die beiden großen hallenartigen Räume und sehen sich um. Schätzungsweise 10.000 Kunden dürften seit der offiziellen Eröffnung im Mai vergangenen Jahres hier gewesen sein. Im Juni 2022 zählte das Team 794 Kunden. Allerdings, so Markus Friedrich, haben nur 86 tatsächlich etwas gekauft. „Anfangs hatten wir im Gegensatz zu unseren anderen Kaufhäusern lediglich Möbel im Angebot. Angesichts der niedrigen Käuferquote entschlossen wir uns, auch Dekoartikel und Porzellan mit anzubieten.“
Wer den Werkhof betritt, ist meist erstaunt, mit welcher Hingabe der Laden gestaltet ist. „Es gibt Werkhöfe, da stehen Tisch an Tisch und Wohnwand an Wohnwand. Hier in Marktredwitz legen die Mitarbeiter Wert auf eine freundliche Dekoration“, lobt Friedrich das Team. Vor allem Iris Hock und Gerlinde Lang sind für die Deko verantwortlich. Beide arbeiten ehrenamtlich im Kaufhaus, obwohl sie es nicht müssten und lediglich eine Aufwandsentschädigung von einem Euro in der Stunde erhalten. „Es macht einen Heidenspaß, hier zu sein“, sagt Gerlinde Lang. Wie die beiden Frauen empfinden fast alle Mitarbeiter.
Arbeit und Selbstwert
Arbeit. Das ist für Markus Friedrich einer der wichtigsten Begriffe. „Es gibt Menschen viel, wenn sie sagen können, ,ich gehe jetzt in die Arbeit’. Die meisten blühen regelrecht auf und freuen sich über die Struktur, die ihre Tage haben, und sind stolz auf das, was sie leisten.“ Eben da nicht jeder gleich leistungsfähig sei und den Anforderungen der freien Wirtschaft gerecht werden könne, seien Arbeitsgelegenheiten wie der Werkhof so wichtig.
Da ist etwa das Beispiel einer Mitarbeiterin mit Mitte 50. Als sie sich in einem Betrieb vorstellt, teilt der Personalverantwortliche ihr mit, dass sie zu alt sei. Keine Chance. „Hier im Team hingegen ist sie beinahe unersetzlich. Sie beweist, was sie kann, und das ist eine ganze Menge“, so Friedrich. Auch Iris Hock und Gerlinde Lang wollen die Arbeit im Werkhof nicht mehr missen. Iris Hock war vor langer Zeit mal Hotelfachfrau und Köchin. Später wurde sie arbeitslos. Dass das Jobcenter sie in einen „1,50-Euro-Job“ im Sozialkaufhaus vermittelt hat, entpuppte sich für die Frau als ein Glücksfall. „Als die Maßnahme ausgelaufen ist, bin ich einfach hier geblieben. Bevor ich daheim rumsitze, arbeite ich lieber ehrenamtlich hier.“
Doch wer sind eigentlich die Kunden des Werkhofs? Michael Tschirn: „Ein großer Teil sind weniger begüterte Menschen, auch Migranten. Wir haben allerdings immer wieder wohlhabende Kunden, die sich hier nach einem Schnäppchen umsehen.“ Im Gegensatz zu den Tafeln kann im Sozialkaufhaus jeder einkaufen, eine Einkommensobergrenze gibt es nicht.
intergrund:
Werkhof Marktredwitz
- Wo: Fikentscherstraße 12 in Marktredwitz
- Telefon: 09231/4179780
- Geöffnet: Montag bis Freitag jeweils von 10 bis 16 Uhr und am Samstag von 9 bis 12 Uhr
- Team: Elf Frauen und Männer