Archive for Juni, 2024

Sucht kann jede(n) treffen!?

Dienstag, Juni 25th, 2024

„Von der Liebe zum Suchtmittel hin zu der Liebe zu mir selbst“ –
Bayernweiter Selbsthilfefachtag Sucht und Gesundheit 2024

Am 14. Juni fand in der Max-Reger-Halle in Weiden in der Oberpfalz der diesjährige Suchtfachtag unter dem Motto „Sucht kann jede(n) treffen!? Geschlechts- und altersspezifische Suchtthematiken im Fokus“ statt. Die Veranstaltung war ein großer Erfolg und zog knapp 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, darunter Betroffene, Fachpersonen aus dem Sucht- und Gesundheitsbereich sowie andere Interessierte aus ganz Bayern (und teilweise sogar darüber hinaus).

Der Fachtag begann mit einer Begrüßung der Anwesenden durch SeKo Bayern, gefolgt von einem Videogrußwort der bayerischen Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention sowie Schirmherrin des diesjährigen Fachtags, Judith Gerlach.

Anschließend sprach Klaus Grothe-Bortlik, Vorstand des Selbsthilfekontaktstellen Bayern e.V., ein Grußwort vor Ort und dankte dabei allen Beteiligten des Fachtags für ihr Engagement.

Der erste Fachvortrag des Vormittags wurde von Psychologin Sandra Schmid gehalten, die sich als Leiterin der Abteilung für frauenspezifische Therapie der Johannesbad Fachklinik Furth im Wald schon seit vielen Jahren intensiv mit ihrem Vortragsthema „Die weibliche Seite der Sucht – Risiken, Konsumverhalten und Bedürfnisse in der Therapie“ auseinandersetzt. Sie beleuchtete die spezifischen Herausforderungen und Besonderheiten, denen Frauen im Kontext von Sucht begegnen, und rief zu einer gendersensiblen und angepassten Unterstützung auf – für alle Geschlechter. Denn, so zitierte sie den Sozialtherapeuten Wilhelm Sannemann, „die Sucht hat kein Geschlecht, die suchtkranken Menschen allerdings.“ Die Folien zum Vortrag können Sie hier herunterladen. 

Dr. Markus Wittmann, ärztlicher Direktor des Bezirksklinikums Wöllershof, folgte mit einem Vortrag über „Sucht als Generationen übergreifende Erkrankung“. Er zeigte auf, wie Suchtproblematiken sich in verschiedenen Altersgruppen und Generationen unterscheiden und präsentierte eindrückliche Daten und Fakten. So geht beispielsweise erwiesenermaßen das Einstiegsalter für sowohl legale als auch illegale Drogen zurück und Erstkonsument*innen werden immer jünger. Auch, dass ältere Betroffene bei der Suchtarbeit häufig vergessen werden, erwähnte der Psychiater: „Da sagt man schnell, der ist eh schon so alt, da lohnt sich das gar nicht mehr, noch gegen die Sucht anzugehen. Aber mit dem Rauchen aufzuhören, lohnt sich auch mit 100 noch!“

Ein besonderes Highlight war das anschließende Podiumsgespräch zwischen Diakon Karl Rühl und zwei Selbsthilfeaktiven der Gruppe „Leben ohne Sucht“, Patrick und Manuel. Dieses Gespräch bot tiefgehende Einblicke in die persönlichen Erfahrungen und den Weg zur Suchtbewältigung der Beteiligten und die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der auf der Bühne gesprochen wurde, berührte die Zuhörenden. 
Patrick beschrieb den Tiefpunkt seiner Sucht so: „Ich habe mich nicht mehr für mich selber interessiert; mir war egal, was aus mir wird.“ Durch Klinik- und Rehaaufenthalte, viel Arbeit an sich selbst und die nachsorgende Unterstützung in der Selbsthilfegruppe, kann er heute mit Stolz sagen: „Der Kernpunkt ist Liebe. Die Entwicklung war von der Liebe zum Suchtmittel hin zu der Liebe zu mir selbst.“ – eine Botschaft, die inspiriert.

Nach einer stärkenden Mittagspause boten verschiedene Workshops die Möglichkeit, sich in kleineren Gruppen intensiv mit spezifischen Themen auseinanderzusetzen. Diese erstreckten sich von Sucht im Alter oder rund um die Schwangerschaft über Kreativität als Ressource im Kampf gegen (Sucht-)Erkrankungen bis hin zu einfachen und effektiven Entspannungsübungen für den Alltag und ermöglichten Austausch auf Augenhöhe.

Der Suchtfachtag in Weiden bot wertvolle Informationen, regte zum Nachdenken an und förderte den Kontakt zwischen Betroffenen und Fachpersonen. Die positive Resonanz der Teilnehmer*innen und Mitwirkenden zeigt uns wieder, wie wichtig solche Veranstaltungen sind, um gemeinsam gegen Sucht und für Gesundheit vorzugehen.

Gefördert wurde der Fachtag vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege und Prävention und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, veranstaltet von SeKo Bayern e.V. in Kooperation mit der Bayerischen Akademie für Sucht und Gesundheit, der Koordinierungsstelle Sucht und der Selbsthilfekontaktstelle Nordoberpfalz (SeKo Nopf).

v.l.n.r: Bettina Lange (KBS), Mitglied der Selbsthilfegruppe „Leben ohne Sucht“, Liane Menke (Universitätsklinikum Jena), Manuel Woyschnitzka und Patrick Schwab (Gruppe „Leben ohne Sucht“), Monika Gerhardinger (Fachambulanz für Suchtprobleme Regensburg), Dr. Beate Erbas (BAS), Klaus Grothe-Bortlik (Vorstand SeKo Bayern e.V.), Lilli Sense (SeKo Bayern), Jürgen Huhn und Brigitte Lindner (SeKo Nopf); vorne: Eva Vitzthum (Fachambulanz für Suchtprobleme Weiden), Karolina (Sozialpädagogin und ehem. Betroffene)

Die weibliche Seite der Sucht im Fokus

Dienstag, Juni 25th, 2024

Warum greifen Frauen zu Suchtmitteln? Wie sehen Behandlungskonzepte speziell für suchtkranke Frauen aus? Diese Fragen sind unter anderem Thema beim Selbsthilfefachtag in Weiden.

von Mareike Schwab

Unabhängig von Alter, Geschlecht und der aktuellen Lebenssituation: „Sucht kann jede(n) treffen“. Unter diesem Motto steht der Selbsthilfefachtag „Sucht und Gesundheit“ in Weiden. In diesem Jahr steht die geschlechts- und altersspezifische Suchtthematiken im Fokus. Ein Drittel der Suchtkranken in stationärer Behandlung sind Frauen, sagt Sandra Schmid, Leiterin der Abteilung für frauenspezifische Therapie in der Johannesbad Fachklinik in Furth im Wald. Die Psychologin möchte ihren Vortrag beim Suchtfachtag deshalb nutzen, um mit Vorurteilen gegenüber suchtkranken Frauen aufzuräumen.

Frauen konsumieren heimlich und wirkungsbezogen, erklärt Schmid. Das heißt, sie nutzen beispielsweise die stimulierende Wirkung von Alkohol, um mehr leisten zu können und der Mehrfachbelastung standzuhalten. Männer hingegen konsumieren häufig im Sozialverband. Der Ursprung der männlichen Sucht liegt also meist woanders. Deshalb seien geschlechterspezifische Angebote, also Angebote speziell auf Frauen oder Männer zugeschnitten, auch so wichtig, sagt Schmid.

Neben stationären Behandlungen spielen vor allem Selbsthilfegruppen bei der Rehabilitation eine große Rolle. 20 Prozent der Suchtkranken schafften es laut Schmid ausschließlich durch den Besuch einer Selbsthilfegruppe abstinent zu werden. Bei der Bewältigung des Alltags mit der Sucht oder der Problematik kann eine ebenfalls betroffene Person sehr gut vermitteln, sagt Irena Težak, Geschäftsführerin der Selbsthilfekoordination Bayern. Der Austausch in einer Gruppe mit anderen, die dasselbe Problem haben, ist etwas völlig anderes als eine medizinische oder therapeutische Behandlung. „Selbsthilfe versteht sich als Ergänzung zum Profisystem“, sagt Težak.

Doch wo gibt es Selbsthilfegruppen und Selbsthilfekontaktstellen in der Oberpfalz? Auch darüber soll der Fachtag der Selbsthilfekoordination Bayern am Freitag, 14. Juni, in der Max-Reger-Halle informieren. Teilnehmen darf jeder: Egal ob Betroffene, Angehörige, interessierte Bürger oder Mitarbeiter im Sucht- und Gesundheitsbereich. Ziel des Suchtfachtags ist es, Selbsthilfe, also das Erfahrungswissen von Betroffenen und die Profiseite, also Mitarbeiter von Beratungsstellen oder Fachkliniken, auf Augenhöhe miteinander in Kontakt zu bringen, sagt Irena Težak.

Integration klappt vor allem über die Sprache: Neuer Sprachclub und Verein in Weiden am Start

Mittwoch, Juni 5th, 2024

Integrationslotsin Stefanie Wildenrother hat ein Ziel: Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund sollen noch schneller Fuß fassen. Unterstützen könnten weitere Angebote wie ein neuer Sprachclub und der neue Ukraine-Verein. von Stephanie Hladik

Seit 2017 treffen sich im Sprachcafé der evangelischen Kirchengemeinde St. Michael, dem „Café Farbenfroh“, jede Woche Migranten und einheimische Bürger jeden Alters zu einem Kennenlernen, zu Gesprächen oder einem fröhlichen Miteinander bei einer Tasse Kaffee. Das Angebot ist beliebt und wurde 2023 mit dem Integrationspreis der Regierung der Oberpfalz ausgezeichnet. Menschen aus bis zu zwölf verschiedenen Nationen finden hier eine Gemeinschaft und schließen neue Freundschaften. Nebenbei erlernen sie die deutsche Sprache. Wichtig, um sich möglichst schnell vor Ort zu integrieren.

Das weiß Stefanie Wildenrother vom Diakonischen Werk Weiden nur zu gut. Seit zwei Jahren ist die Integrationslotsin Ansprechpartnerin für Neubürger und ehrenamtliche Helfer. „Natürlich unterstütze ich auch bei Behördengängen, aber vor allem bin ich dafür da, das Netzwerk weiter ausbauen“, sagt Wildenrother. „Hilfe zur Selbsthilfe“ fällt im Gespräch mit Oberpfalz-Medien immer wieder.

Sprachclub in Kreuz Christi
„Das Café Farbenfroh läuft super, aber mittlerweile ist es schon sehr voll. Aus der Gruppe heraus kam der Wunsch, die Sprachübungen zu vertiefen, eventuell in einem anderen Rahmen“, sagt Wildenrother. Die Idee zu einem Sprachclub reifte. Mit angeschoben hätten die zahlreichen ukrainischen Neubürger, freut sich die Integrationslotsin. „Die sind total umtriebig und erstaunlich gut vernetzt, unter anderem durch eine eigene WhatsApp-Gruppe. Das hat auch den Austausch mit Einheimischen forciert.“ Beim Probetermin für den neuen Sprachclub kamen über 50 Interessierte.

Jetzt will das multikulturelle Projekt richtig durchstarten. Am Mittwoch, 5. Juni, von 15 bis 17 Uhr trifft sich der Sprachclub wieder – immer im Gemeindezentrum Kreuz Christi am Stockerhutweg 37. Die Leitung hat die Ukrainerin Olena Riabinina übernommen. Ihr Mini-Job werde über die Lagfa Bayern, die Landesarbeitsgemeinschaft für gemeinschaftliches Engagement, gefördert. Als Bindeglied zur evangelischen Gemeinde fungiert Elisabeth Heider.

„Die Inhalte organisieren die Teilnehmer weitgehend selbst“, sagt Stefanie Wildenrother und gibt ein Beispiel. „Ob Syrer, Iraner oder Ukrainer, die Migranten wollen vor allem Ausdrücke des täglichen Sprachgebrauchs üben. Was sage ich zum Beispiel, wenn mir das Essen schmeckt? oder Wie erkläre ich, wenn etwas sauer ist? Besonders heiß sind sie aufs Bayerische“, sagt sie schmunzelnd. Und auch, wenn das „Griaß God“ oder „Hawadere“ holprig über die Lippen komme, helfe es ungemein, mit Einheimischen leichter in Kontakt zu kommen.

In das Konzept passt auch der neue Verein, die Ukrainische Gemeinde Weiden, der erst seit wenigen Tagen offiziell besteht. Nach Auskunft der Pressestelle der Stadt leben aktuell 801 Ukrainer in Weiden. Vereinsvorsitzende ist Iuliia Kumanska, ihre Stellvertreterin Oksana Lobodynska. Kumanska lebt seit 2020 mit ihrer Familie in Weiden, ist seit Dezember 2023 Mitglied im Integrationsbeirat der Stadt. Die studierte Philologin arbeitet als Pädagogische Fachkraft der Volkshochschule Weiden-Neustadt/WN. Ihr liegen besonders die Kinder und Jugendlichen am Herzen, wie sie sagt. „Für sie gibt es noch zu wenig Angebote. Oft bleiben sie nach der Schule unter ihresgleichen, in ihrer eigenen Blase. Der Verein kann hier vielleicht helfen, Dinge anzustoßen.“ So träumt Kumanska zum Beispiel von einem gemeinsamen Theaterprojekt. „International soll es sein“, sagt sie. Denn: Der neue Verein wolle für alle Nationalitäten da sein. „Er ist auf Kooperation ausgelegt“, ergänzt die Integrationslotsin, die das neue Angebot, ebenso wie ihr Chef Diakon Karl Rühl, sehr begrüßt.

Ukrainische Gemeinde Weiden
Langfristig sollen auch Beratungsangebote speziell für Frauen geschaffen werden. Damit wolle man auch die Frauen in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge im „Camp Pitman“ erreichen, die es besonders schwer hätten. „Auch eine ukrainische Samstagsschule für Kinder könnten wir uns vorstellen“, sagt Iuliia Kumanska. Eine solche gebe es bislang noch nirgends. Gut angelaufen sei bereits der Kontakt zur deutschen Pfadfindergemeinde (Stamm Thomas Morus) in Weiden, freut sich die Ukrainerin. „Unsere eigene Pfadfindergruppe (Plast) zählt schon 40 Kinder und Jugendliche.“

Integrationslotsin Wildenrother sieht die Projekte und den neuen Ukraine-Verein als ein Gesamtkonzept, das ineinander greift. „Die verschiedensten Nationen sollen sich austauschen, gegenseitig helfen und auch Neues anstoßen. Eben Hilfe zur Selbsthilfe. Nur so kann langfristig das Netzwerk auch wachsen.“ Doch sie weiß auch, dass es noch viel zu tun gibt. Die Angebote sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor Deutschlehrer fehlen und es nicht genügend Integrationskurse gibt. Zudem könnten viele Mütter, die keine Kinderbetreuung haben, Treffen nicht wahrnehmen, weist Wildenrother auf ein generelles Problem in der Migrationspolitik hin.

Spaß haben und Sprache lernen

  • Sprachencafé „Café Farbenfroh“: 2017 von der Evangelischen Erwachsenenbildung und dem Diakonischen Werk initiiert. Findet wöchentlich mittwochs von 15 bis 17 Uhr im Betsaal der evangelischen Kirchengemeinde St. Michael, Pfarrplatz 6, statt.
  • Sprachclub: Neu seit 2024; jeden Mittwoch 15 bis 17 Uhr im Gemeindezentrum Kreuz Christi
  • Integrationslotsin der Diakonie Stefan Wildenrother: Büro in der Passage im Alten Rathaus, Weiden; Telefon: 0157/51197736