Archive for the ‘Täterberatung’ Category

Von Ohnmacht und einem neuen Weg: Ehemaliger Täter erzählt, wie er aus dem Gewalt-Kreislauf ausgestiegen ist

Mittwoch, September 4th, 2024

Jahrelang beherrschte Gewalt Helmuts Leben, bis er Hilfe bei einem Oberpfälzer Täterberater suchte – und fand. Der Familienvater erzählt, wie Veränderung und eine Abkehr von der Aggression gelingen kann. von Maria Oberleitner

Als Helmut seine Frau im Streit an den Haaren zog, war klar: So kann es nicht weitergehen. Die jahrelange Aggression, die Gewalt, die Angst und das Geschrei – das wollen beide nicht mehr. Die häusliche Gewalt, sie muss aufhören. Fast ein Jahr ist dieser Streit nun her. Und fast ein Jahr ist es nun her, dass Helmut, 36 Jahre alt und zweifacher Familienvater, einen neuen Weg beschritten hat – einen Weg ohne Gewalt.

Unterstützung fand er bei Jürgen Huhn, dem Oberpfälzer Täterberater bei der Diakonie. Der ist zuständig für die ganze Nordoberpfalz zwischen Amberg und Schwandorf, Weiden und Tirschenreuth und lehrt Männern, gewaltfrei zu leben und zu kommunizieren. Heute sagt Helmut: „Ich fühle mich viel freier, gelöster.“ Er habe gelernt, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. In schwierigen Situationen fühle er sich nicht mehr so ausgeliefert, könne gelassener reagieren. Friedlicher sei sein Leben geworden, sagt Helmut, vor allem das Familienleben.

„Bei Meinungsverschiedenheiten mit meiner Frau war ich oft hilflos und fühlte mich ohnmächtig. Ich habe mich in solchen Situationen provoziert gefühlt. Was mich wirklich im Einzelnen verletzt hat, habe ich erst viel später gemerkt“, sagt der 36-Jährige. Helmuts Geschichte steht dabei symbolisch für viele andere Geschichten, erklärt Täterberater Huhn: „Es geht oft um Ohnmacht, um Selbstwert, das eigene Rollenverständnis und gelernte Verhaltensweisen.“ Huhn sieht dann genau hin, analysiert mit dem Täter zusammen: Wieso werde ich aggressiv? Was verletzt mich? Und der Experte zeigt Alternativen auf: Die Situation verlassen. Durchatmen. Einen Raum schaffen zwischen Reiz und Reaktion. Oder, wie Helmut sagt: „Weg von der Gewalt – und später hin zur Diskussion.“

Keine Bestrafung – sondern die Suche nach Lösungen

Jürgen Huhn ist Sozialarbeiter und -pädagoge, im April vergangenen Jahres hat er die Leitung der Nordoberpfälzer Täterberatung übernommen. Zu ihm kommen Familienväter, Partner. Männer aus jeder Gesellschaftsschicht, mit abgeschlossenem Studium oder aus dem Arbeitermilieu. „Klischees treffen da nicht zu“, sagt Huhn. „Das ist ein Problem, das alle betreffen kann.“ Seine Vision für die Zukunft? „Dass ich mich überflüssig mache.“ Er lacht. Bis dahin aber sei er froh über jeden, der den Schritt zur Beratung wage: Das Bewusstsein dafür, das sich etwas ändern müsse, das sei viel wert. Denn: „Täterarbeit ist immer Opferschutz“, sagt Huhn. Er wünsche sich, dass die Gesellschaft häusliche Gewalt nicht mehr als Kavaliersdelikt, als Bagatelle wahrnimmt. „Sondern als das, was es ist: Ein großes Problem.“ Bei der Beratung geht es Huhn aber nicht um Bestrafung – sondern um Lösungen. „Es wird nichts beschönigt, aber ich wurde auch nicht verurteilt“, erinnert sich Helmut. Die Barrieren seien dann schnell gefallen, trotz des großen Schamgefühls.

Auch die Beziehung zu seiner Frau sei jetzt wieder sehr gut, sagt er. „Wenn wir streiten, dann kann es schon mal noch erregter werden. Aber wir finden dann einen gemeinsamen Weg.“ Und das, obwohl er ihr Vertrauen immer wieder zerstört habe, erinnert sich Helmut. „Meine Frau hatte Angst vor mir, das war mir klar. Und habe oft versprochen: Das passiert nicht mehr.“ Und sich dann trotzdem nicht um Hilfe von außen gekümmert. „Erst als sie mit Trennung gedroht hat – völlig zu Recht – habe ich reagiert.“ Zuerst habe er sich selbst anzeigen wollen, habe einen Freund um Hilfe gefragt und kam durch dessen Empfehlung schließlich an Huhn.

Ein neuer Weg, ohne Gewalt

Sein alter Weg, sagt Helmut, war: Gewalt. „Der Weg war über die Jahre sehr ausgetreten und tief, da kommt man nicht so schnell raus.“ Einen neuen Weg, den gab es noch nicht, den habe er erst anlegen müssen, eine Abzweigung nehmen. „Das war ungewohnt, braucht Zeit und Geduld und klappt nicht gleich beim ersten Mal.“

Dieser neue Weg, für Helmut begann er auch mit einem Thriller von Sebastian Fitzek. Helmut warf einen Blick ins Vorwort von „Der Heimweg“ – und ihm wurde klar: „Ich bin auch dafür verantwortlich, wie die Zukunft meiner Kinder aussieht. Da gibt es keine Ausreden.“ Im Vorwort legt der Autor dar, was es für Kinder bedeutet, wenn der Vater Gewalt gegen die Mutter ausübt – nämlich eine Verdreifachung der Wahrscheinlichkeit, selbst im späteren Leben häusliche Gewalt zu erleben oder zu erdulden. „Es ist wie ein Automatismus, der sich über Generationen weiterträgt“, sagt Helmut. Da habe er verstanden: Verharmlosen und Schönreden hilft nichts. Nur, wer sich der Realität stelle, sich ein Problem eingestehe, könne beginnen sich zu ändern. Und die Dinge zum Besseren wenden.

Quelle: Der neue Tag

„Ich will nie wieder so sein“:
Wenn Gewalttäter Hilfe und Therapie suchen

Dienstag, Mai 17th, 2022

„Täterberatung“ klingt seltsam und im ersten Moment vielleicht auch etwas missverständlich. Doch die Arbeit dieser Anlaufstelle für Männer, die ihrer Partnerin gegenüber gewalttätig wurden, ist sehr wichtig. Das zeigt das Beispiel von Jürgen P.

Von Wolfgang Würth

Schwandorf. Und irgendwann kam die Polizei. Jürgen Ps. (Name von der Redaktion geändert) Partnerin hatte sie gerufen, am Kopf blutend und vom Badezimmer aus. Dort hatte sie sich eingesperrt, nachdem P. ihr einen Telefonhörer auf den Kopf geschlagen hatte. Die Beamten kamen der Frau zu Hilfe. Wenig später war auch Jürgen P. klar, dass er Hilfe benötigt.

Der Vorfall ist rund ein Jahr her. Wenn P. heute darüber spricht, klingt es beinahe so, als ginge es um die Tat eines anderen. Sachlich und mit Distanz spricht er darüber, was er seiner Partnerin damals im Streit angetan hat. P. scheint selbst zu bemerken, dass das bei einem Außenstehenden falsch ankommen könnte. Von selbst betont er plötzlich, dass die Schuld an dem Vorfall alleine bei ihm liegt. Es sei ihm wichtig gewesen, sich zu ändern. „Ich wollte so nicht mehr sein.“

„Fachkraft für Täterberatung“
Tatsächlich hat P. seit dem Vorfall einen weiten Weg zurückgelegt und an sich gearbeitet. Das bescheinigt ihm Katja Deyerl. Die Sozialpädagogin leitet bei der Diakonie in Weiden seit Anfang 2021 eine sogenannte Täterberatung. Die 43-Jährige ist als „Fachkraft für Täterarbeit häusliche Gewalt“ speziell ausgebildet mit Menschen zu arbeiten, die in ihren Beziehungen gewalttätig geworden sind. Grundsätzlich können Täter auch Frauen sein, es kann sich auch um eine homosexuelle Beziehung handeln. Die Täterberatung in der Oberpfalz besuchen derzeit aber nur Männer. Manche kommen freiwillig so wie Jürgen P. Andere erhalten von der Justiz die Auflage, das Angebot zu besuchen.

Ohne vorherige Einzelgespräche sei das aber nicht möglich, erklärt Deyerl. Sie müsse zuerst abklären, ob der jeweilige Bewerber bereit ist, sich zu öffnen und ob auch die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind. So dürfe keine Suchterkrankung oder psychologische Auffälligkeit oder eine Suchterkrankung vorliegen. „Ein Stalker wäre zum Beispiel falsch“, veranschaulicht Deyerl.

In der Gruppe sollen es die Teilnehmer durch ihre Mitarbeit, durch Austausch und die Konfrontation mit ihren Taten, schaffen, künftig nicht mehr gewalttätig zu werden. Das ist das oberste Ziel des Angebots. Dazu sollen die Teilnehmer zunächst lernen, die Verantwortung für ihre Gewalttaten zu übernehmen, Empathie zu entwickeln, eigene Grenzen und die der anderen zu erkennen und zu akzeptieren. Letztlich gehe es darum, Konflikte sozial kompetent und gewaltfrei zu lösen.

Von der Partnerin selbst getrennt
Hieran arbeitet auch Jürgen P. seit etwa einem Jahr. Neben der Teilnahme an der Täterberatung absolviere er eine individuelle Verhaltenstherapie: „Ich will nie wieder so sein“, bringt der fast 50-Jährige seine Motivation nochmals auf den Punkt. Tatsächlich habe die Partnerin ihn nach dem Vorfall nicht verlassen, aber gefordert, dass er an sich arbeitet und dabei Hilfe sucht. Im Netz sei er dann auf die Täterberatung
aufmerksam geworden.

Das Angebot nutzt er bis heute, von der Partnerin habe er sich dagegen inzwischen getrennt. Auch
weil er durch die Beratung und die Therapie einen anderen Blick auf sich, sein Leben und sein Handeln gewonnen habe, hat er sich dazu entschieden. Dass bedeute aber nicht, dass er seiner früheren Partnerin
eine Teilschuld an seinen Taten geben will. „Für das, was ich gemacht habe, bin ich ganz alleine verantwortlich.“ Dennoch habe er für sich festgestellt, dass ihm und seinem Wesen die Nähe zu der Frau nicht gut getan habe.

Alle Schichten, alle Nationalitäten
Tatsächlich komme das immer wieder vor, sagt Katja Deyerl über die Teilnehmer der Beratung: Dass sich die Täter von ihren früheren Opfern trennen, statt anders rum. Allerdings warnt die Sozialpädagogin vor zu einfachen Verallgemeinerungen. Es sei sehr schwer Aussagen zu treffen, die für alle Teilnehmer gelten „Die Männer in der Beratung kommen aus allen Schichten“, sagt sie. Es sei nicht so, dass es nur sozial schwache Schichten betreffe oder bestimmte Kulturkreise. Es sei zwar richtig, dass der kulturelle Hintergrund die eigene Einstellung zur Gewalt und zur Rolle der Frau prägen kann. Aber es sei viel zu einfach, zu sagen, jemand wird gewalttätig, weil er aus einem bestimmen Land oder einer bestimmten Religion kommt.

Überhaupt warnt Deyerl vor Schwarz-und-Weiß-Denken. Es sei nicht so, dass sich ausschließlich brutale Schläger vierzehntägig bei ihr zum Austausch treffen. „Es sind wirklich ganz tolle Männer in der Gruppe“, sagt die Sozialpädagogin. Wenn es da etwas Verbindendes gibt, dann seien das negativ prägende Erfahrungen in der eigenen Kindheit. Bei vielen der Teilnehmer haben die Eltern kein gutes Beispiel abgegeben, den Kindern nicht vermittelt, dass es in einer Partnerschaft vor allem um einen liebevollen Umgang gehen sollte.

Mit rosa Jacke in die Schule
An der Stelle nickt Jürgen P: „Meine Eltern waren nie nett zueinander.“ Tatsächlich klingt die Schilderung
seiner Kindheit schon eher nach einem Glasscherben-Klischee. P. ist in einer sozial schwachen Familie mit sehr vielen Geschwistern aufgewachsen. Gewalt, um sich durchzusetzen, habe darin immer eine gewissen Rolle gespielt. Auch der eher schwächliche kleine Jürgen habe in den 1970ern lernen müssen, sich zu behaupten. „In der zweiten Klasse musste ich einen rosa Anorak mit Blumenmuster in die Schule anziehen“, erinnert er sich. Seine Eltern hatten einfach kein Geld, um für den Winter eine andere Jacke zu kaufen. „Können Sie sich vorstellen, was eine rosa Jacke mit Blumenmuster in der Klasse für mich bedeutet hat?“ Um sich wehren zu können, beginnt Jürgen P. mit Kampfsport und wird bald recht erfolgreich. Gleichzeitig startet er eine Karriere als „Discoschläger“ im Schwandorfer Raum. „Der Jugendrichter hat mich damals auf der Straße mit Namen gegrüßt. So oft war ich bei dem.“

Gutes Verhältnis zu den Kindern
Allerdings schafft P. den Absprung von der schiefen Bahn. Heute arbeitet er als Spezialist in der Logistikbranche, verdient dort gut. Seine erste Ehe wurde vor elf Jahren geschieden, zu seinen heute erwachsenen Kindern habe er ein sehr gutes Verhältnis. „Ihnen gegenüber war ich nie gewalttätig.“ Seiner Ex-Frau gegenüber allerdings schon. Einmal habe es einen Vorfall gegeben. Bei seiner neuen Partnerin habe es dann mit verbaler Gewalt begonnen, später habe er sie immer wieder im Streit geschubst. Bis
dann der Schlag mit dem Telefonhörer kam.

Wie das möglicherweise alles zusammenhängt und wo die Verbindung zu seiner Entwicklung liegt, das habe er sich unter anderem auch durch die Täterberatung erschließen können. Sich dort zu öffnen, sei alles andere als leicht gewesen und habe einige Sitzungen gedauert. Heute sei er froh, dass er den Mut aufgebracht hat, sagt Jürgen P. Tatsächlich habe er den Eindruck, dass sich die Beschäftigung mit sich auch auf seinen Alltag niederschlägt.

Er werde seltener wütend, komme ohne Beleidigungen aus. Auch im Umgang mit seinen Arbeitskollegen habe er das Gefühl, dass ihm die Beratung und Verhaltenstherapie helfe. „Tatsächlich hat mir mein Vorgesetzter im Jahresgespräch erst gesagt, dass es einfacher und angenehmer ist, mit mir umzugehen.“ Die anfangs mühevolle Beschäftigung mit sich und seinem Verhalten scheinen sich für Jürgen P. nun auszuzahlen.

Täterberatungsstelle der Diakonie Weiden:
Telefon: 0961/3 89 31 15, E-Mail
taeterberatung@diakonie-weiden.de,
www.diakonieweiden.de/taeterberatung

Der neue Tag, Ausgabe vom 17.05.2022

»Täterberatung ist Opferschutz«

Sonntag, Februar 21st, 2021

Diakonie Weiden startet Täterberatung / Katja Deyerl für Nordoberpfalz zuständig

Das bayerische Sozialministerium hat landesweit die Einrichtung von Täterberatungsstellen forciert. Seit 1. Januar gibt es so eine Stelle bei der Diakonie Weiden. Sie wird von Katja Deyerl bekleidet. »Täterberatung ist Opferschutz«, sagt die Diakonin und Sozialpädagogin.

Frau Deyerl, bei der Täterarbeit geht es darum, den Tätern zu helfen. Wie lässt sich Gewalt abtrainieren?
Katja Deyerl: Kein Mensch ist von Geburt an gewalttätig, gewalttätiges Verhalten wird erlernt. Auch die Sozialisation spielt eine Rolle: Männer sollen stark sein, eine gewisse Aggressivität haben, die in manchen Bereichen wie Sport und Beruf von Vorteil ist. Aber in einer Paarbeziehung hat Gewalt nichts zu suchen. Außerdem weiß man, dass Frauen häufig nicht die Beziehung beenden wollen, sondern sie möchten, dass die Gewalt
endet. Es lohnt sich also, daran zu arbeiten.

Gewalttätige Paarbeziehungen – wie häufig kommt das vor?
Deyerl: Es gibt kaum eine Familie, in der es keine Gewalt gibt. Die Frage ist aber: Ist es ein vorübergehendes Ungleichgewicht, weil ein Elternteil gerade gestresst ist? Oder liegt eine dauerhafte Schieflage vor? Wenn die Machtverteilung permanent ungleich ist, leidet die Frau darunter. Zu über
80 Prozent geht die Gewalt vom männlichen Partner aus.

Sie arbeiten mit den Tätern an dem Problem. Welche Schritte sind dafür notwendig?
Deyerl: Wir stehen mindestens ein halbes Jahr mit den Männern in Kontakt, haben zu Beginn mehrere Einzelgespräche, die dann nach einer gewissen Zeit in ein Gruppentraining münden. Das sind in der Regel 25 Treffen à zwei Stunden nach einem standardisierten Verfahren. Dabei machen wir Notfall- und Sicherheitspläne, wie der Täter aus der Situation
aussteigen kann. Wir stellen im Training die Gewaltsituationen nach: Was ist an dem Tag passiert, was ist da im Täter abgelaufen?

Wie ist Ihre Einstellung zum Täter?
Deyerl: Wir verurteilen nicht den Mann, sondern die Gewalt. Trotzdem ist es so, dass der Mann zu 100 Prozent verantwortlich ist für seine Tat. Er kann über die Justiz zur Rechenschaft gezogen werden. Aber auch wenn er sein Verhalten verändern und dieses Programm durchlaufen will, geht es nur, wenn die Berater konfrontativ und gewaltzentriert mit dem Thema
umgehen, und allen Beteiligten klar ist, dass er gewalttätig geworden ist.

Wie viele Paare bleiben nach der Beratung zusammen?
Deyerl: Eine Erfolgsquote lässt sich schwer evaluieren, weil man mit einer hohen Dunkelziffer bei der Rückfallquote rechnen muss. Gewalt im häuslichen Bereich ist extrem schambesetzt. Klar ist aber, dass in einer Familie, in der es häusliche Gewalt gibt, zugleich immer auch eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Auch wenn die Kinder selbst die Gewalt nicht spüren, erleben sie psychische Gewalt. Deshalb ist es wichtig, mit der ganzen Familie daran zu arbeiten. Da geht es um Wiedergutmachung – nicht nur der Mutter, sondern auch den Kindern gegenüber.

Wie lange dauert es in der Regel, bis die Klienten nicht mehr gewalttätig sind?
Deyerl: Vom Trainingsprogramm her sollte die körperliche Gewalt nach drei Monaten aufhören. Der Mann brüllt vielleicht noch oder schlägt Türen, aber nicht mehr die Frau. Wir arbeiten mit klaren Vereinbarungen: Der Täter muss eine Gewaltverzichtserklärung unterscheiben. Wer das nicht kann, der ist bei uns fehl am Platz.
Interview: Gabriele Ingenthron

Katja Deyerl ist über E-Mail: taeterberatung@diakonie-weiden.de oder mobil: (0 15 20) 3 28 28 38 zu erreichen.

Diakonie startet Täterberatung: „Gewalt lässt sich auch abtrainieren“

Freitag, Januar 29th, 2021

Viele Frauen wollen keine Trennung, sondern ein Ende der Gewalt. So die Erkenntnis der Mitarbeiterinnen im Frauenhaus. Doch den meisten Männern gelingt das nicht ohne Hilfe. Die erhalten sie jetzt beim Diakonischen Werk Weiden.

Weiden. (ps) Den Wunsch, nicht nur den Opfern von Gewalt, sondern auch den Tätern zu helfen, hatten Diakon Karl Rühl und Enikö Nagy schon lange. Jetzt ist der Wunsch des Geschäftsführers der Diakonie Weiden und der Leiterin des Weidener Frauenhauses in Erfüllung gegangen. Seit 1. Januar gibt es eine Täterberatungsstelle bei der Diakonie. Zuständig dafür ist Katja Deyerl. Ihr Einsatzbereich umfasst die gesamte Nordoberpfalz von Tirschenreuth über die Bereiche Neustadt/ WN, Weiden und Amberg bis zu Schwandorf. In Weiden, Amberg und Schwandorf werden noch geeignete
Beratungsräume gesucht.

Oberpfalz: Zwei halbe Stellen
Das Bayerische Sozialministerium hat die Einrichtung von Täterberatungs-stellen landesweit forciert. „Sonst gibt es in jedem Regierungsbezirk nur eine derartige Fachstelle“, erklärt Rühl. Doch in der Oberpfalz hätten sich die Diakonie Weiden und der Regensburger Verein „Kontakt“ schließlich darauf geeinigt, jeweils eine halbe Stelle einzurichten und die Zuständigkeitsbereiche in Nord- und Südoberpfalz aufzuteilen. Außerdem seien die Schwerpunkte etwas unterschiedlich. „Der Mitarbeiter in Regensburg hat mehr Erfahrungen mit Männern aus dem Strafvollzug, bei unserer Mitarbeiterin steht das Thema häusliche Gewalt im Mittelpunkt.“

„Täterberatung ist Opferschutz“, erklärt Katja Deyerl (42). Im Herbst hat die Diakonin und Sozialpädagogin, die in den vergangenen 13 Jahren in der Schulsozialarbeit am Förderzentrum Sulzbach-Rosenberg tätig war, die Weiterbildung zur Fachkraft für häusliche Gewalt begonnen. „Wir profitieren hier von den jahrelangen Erfahrungen in anderen Bundesländern.“ Die Weiterbildung sei standardisiert. Die Ausbilder durchwegs aktive Fach-kräfte der Bundesarbeitsgemeinschaft für häusliche Gewalt mit langjähriger Praxiserfahrung.

Die erste Projektphase ist laut Karl Rühl bis Ende 2022 vorgesehen. Zur Mit-finanzierung hat das Diakonische Werk jeweils 1500 Euro pro Jahr von der Stadt Weiden und den Landkreisen Neustadt/WN und Tirschenreuth beantragt. „Aus Neustadt kam bereits eine positive Rückmeldung.“

Nach neun Monaten gewaltlos
Ziel der Täterberatung ist es, so Deyerl, die Gewalt zu beenden. Der Betrof-fene muss allerdings zur Veränderung bereit sein. „Ich empfehle anfangs drei bis vier Einzelgespräche, um abzuklären, in welchen Situationen der Mann gewalttätig geworden ist. Was soll verändert werden und wie lässt sich das erreichen?“ Nur wenn der Betroffene zur Mitarbeit bereit sei, werde die Beratung fortgesetzt. „Gewalttätiges Verhalten ist erlernt, also kann es auch wieder abtrainiert werden.“ In Einzelgesprächen und Gruppentraining lernt der Täter, wie er in Szenarien, in denen er früher zugeschlagen hat, anders reagieren kann.

Die Erfahrungen der bereits existierenden Täterberatungsstellen sind sehr gut. „Nach etwa drei Monaten endet die Gewalt“, weiß Deyerl. „Der Mann brüllt vielleicht noch oder schlägt mit der Tür, aber nicht die Frau. Nach acht bis neun Monaten sind die Männer weitgehend gewaltlos, wenn sie dieses standardisierte Training absolviert haben.“ Viel Mut und der entsprechende Wille gehören dazu. „Wir bieten die nötige Unterstützung.“

„Eine Hand rutscht nicht aus“
„Jede vierte Frau in Deutschland ist von Gewalt betroffen. Das zieht sich quer durch alle Schichten“, weiß Enikö Nagy, die Leiterin des Weidener Frauenhaues. Wenn eine Frau nach der vorläufigen Trennung zu ihrem Mann zurückkehren wolle, sei die Täterberatung mit entsprechendem Training eine gute Alternative.

Der Mann müsse allerdings bereits sein, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Denn, so Nagy: „Laut Studien gibt es keinen Affekt. Eine Hand rutscht nicht aus.“ Das Angebot der Täterberatung ist kostenlos und anonym. Es gilt übrigens auch für Frauen, die zu häuslicher Gewalt neigen. Zu über 80 Prozent geht die Gewalt jedoch vom männlichen Partner aus. Selbst wenn die Kinder verschont bleiben und sich während
der Auseinandersetzung im Nebenzimmer aufhalten, steht für Deyerl fest. „Wo es zu häuslicher Gewalt kommt, liegt immer eine Kindeswohlgefährdung vor.“

Zukunftsplan: „Weidener Modell“
Die Täterberatungsstelle soll deshalb über Kooperationsverträge mit Jugendämtern, Familiengerichten und anderen Einrichtungen vernetzt werden. Enikö Nagy plant für die Zukunft sogar ein „Weidener Modell“, ähnlich dem bereits existierenden „Münchner Modell“. Ziel ist ein standardisiertes Vorgehen von Frauenhaus, Jugendämtern und Justiz in Fällen von häuslicher Gewalt.

Denn häusliche Gewalt sei ein Sonderfall. Aber das, meint Nagy, sei nicht jedem Richter bewusst. Wenn ein narzisstischer Vater falsche Vorwürfe gegen seine Frau erhebe – zum Beispiel sie habe die Kinder entführt und verkaufe Drogen – könne es lange Zeit dauern, bis die Frau diese Vorwürfe wieder entkräfte. Die Täterberatung sei ein wichtiger Schritt, um das Verhalten der Betroffenen zu verändern. Letztlich würde sich dadurch auch in der Gesellschaft vieles verändern. „Aber das ist ein langer Prozess.“

Katja Deyerl ist über die E-Mail-Adresse
taeterberatung@diakonie-weiden.de
erreichbar oder über die Handynummer:
01520/3282838.