Bundesweit fehlen tausende sichere Plätze für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind –gleichzeitig steht die Finanzierung von Gewaltschutz auf wackeligen Beinen. Ein Blick auf die Situation der Frauenhäuser in Weiden und Amberg.
Von Maria Oberleitner
Amberg/Weiden. Das Telefon im Weidener Frauenhaus steht nicht mehr still. Am Morgen sind zwei freie Zimmer gemeldet worden
– eine echte Seltenheit. Am anderen Ende der Leitung: eine Frau, die eine Betroffene von häuslicher Gewalt auf der Straße aufgelesen hat
– diese war wohl erst in einem Keller eingesperrt, später hat man sie auf die Straße gesetzt. Ihr Schicksal wird, zusammen mit dem vieler anderer Frauen, am Ende des Jahres als Nummer in den Statistiken der Frauenhäuser zu finden sein: wenn sie Glück hat, als Bewohnerin.
Wenn die Frauen weniger Glück haben, landen sie als Absage in den Statistiken. Denn normalerweise gibt es hier im Weidener Frauenhaus keine freien Zimmer, sagt Frauenhaus-Leiterin Enikö Nagy. Das kennt man auch in Amberg: Hier lag die Auslastung im Jahr 2023 bei 94,6 Prozent. Im Juli, erinnert sich Nagy, gab es sogar eine Zeit lang bayernweit keinen einzigen freien Platz. Wenn in Weiden doch mal etwas frei ist, dauert es nicht selten nur wenige Stunden, bis der Platz vergeben ist. Für jede Frau, die hier Zuflucht vor häuslicher Gewalt findet, muss das Team rund um Nagy drei andere Frauen weiterschicken. Und sie ergänzt: An emotionalen Feiertagen wie Weihnachten oder in den Ferien ist der Bedarf oft noch viel höher.
Rüge von Grevio-Expertengruppe
Dass es deutschlandweit nicht genügend sichere Plätze für Frauen gibt, die vor Gewalt fliehen müssen, steht spätestens seit 2022 fest, als das Land von der Grevio-Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, gerügt wurde
– unter anderem wegen fehlender Zufluchtsplätze. Wieder klingelt das Telefon. Diesmal geht es um zwei Frauen, die in anderen Frauenhäusern von ihren Männern entdeckt wurden und weiterziehen müssen. Nur wenig später sind Mitarbeiter aus Bezirkskrankenhäusern in der Leitung, die Obdach suchen für Frauen, die wegen häuslicher Gewalt in psychische Krisen geraten waren.
Fehlende Ressourcen
Berücksichtigt man die Istanbul-Konvention, einen bindenden völkerrechtlichen Vertrag zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, den Deutschland 2018 ratifiziert hat, so würden 21 000 Schutzplätze benötigt. Laut der aktuellen Frauenhaus-Statistik aus dem Jahr 2022, die Daten von 179Frauenhäusern ausgewertet hat, gab es damals aber lediglich Platz für 6431Frauen und ihre Kinder. Hochgerechnet auf die rund 400 Frauenhäuser in Deutschland ist laut dem Verein Frauenhaus – Koordinierung davon auszugehen, dass 2022 rund 14 400 Frauen– und zusätzlich ihre Kinder – Schutz fanden.
Hätte sie ein paar Wünsche frei, sagt Andrea Graf, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), doppelt so viele Plätze und eine sichere Finanzierung stünden weit oben auf der Liste. Der Sozialdienst ist Träger des Amberger Frauenhauses. Graf berichtet von immer komplexer werdenden Fällen, für deren Betreuung man eigentlich mehr Zeit bräuchte. Eine Psychologin oder eine Kinderthera-peutin wären eine echte Bereicherung, sagt sie. Und schiebt schnell hinterher: „Ich weiß aber auch, dass das utopische Wünsche sind.“ Es fehlt aber nicht nur im Frauenhaus selbst an Ressourcen, sondern auch außerhalb: das gilt für Kindergartenplätze, bezahlbare Wohnungen, Therapieplätze
–die Frauenhäuser spüren das – denn sie müssen oft auffangen, was an struktureller Versorgung fehlt.
Flickenteppich-Finanzierung
Graf sagt aber auch: „Viel wichtiger wäre es aber, das, was schon vorhanden ist, richtig zu finanzieren – und an die Realität anzupassen.“ Sonst seien die sicheren Plätze schnellgefährdet. Finanziert werden Frauenhäuser über einen Sockelbeitrag vom Bund, Lohn-und Sachkosten teilen sich Kommunen und der Träger. Für den Träger bedeutet das: Zehn Prozent der Kosten bleiben an ihm hängen, finanziert werden diese meistens über Spenden. Oft decken die zehn Prozent Eigenanteil die Kosten aber nicht ab, erzählt Graf. „Die staatliche Förderung ist gedeckelt. Die Gehälter steigen aber trotzdem.“ Graf nennt hier als Problem, was auch bereits vom Europa-Expertenrat bemängelt wurde: Bislang gibt es statt einem einheitlichen Rechtsrahmen zur Finanzierung der Frauenhäuser einen Flickenteppich. Denn aktuell ist diese Finanzierung eine Sache der Länder und Kommunen –und eben nicht einheitlich geregelt.
Die Weidener Frauenhaus-Leiterin Enikö Nagy hofft auf das von der Regierung angekündigte Gewalthilfe-Gesetz. Denn im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass der Bund Einheitlichkeit schaffen und in die Finanzierung einsteigen will. Noch einmal klingelt das Telefon an diesem Vormittag im Weidener Frauenhaus. Diesmal versucht ein Kriminalpolizist aus einer Nürnberger Notaufnahmestelle sein Glück. Er sucht ein Zimmer für eine Frau, die mehrfach misshandelt und gewürgt wurde –mit ihren drei Kindern nun kurzfristig bei Verwandten untergekommen ist, aber dort nicht lang bleiben kann. „Gewaltschutz kostet zwar Geld“, sagt Nagy, „rettet aber Leben.“
Quelle: Der neue Tag